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WM027 Krasser Krimi Kanzlerwahl (19/2025)
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WM027 Krasser Krimi Kanzlerwahl (19/2025)

Krasser Krimi Kanzlerwahl

Der vergangene Dienstag war wieder einer dieser Tage, an denen so eine Eilmeldung aufpoppt, die einen umgehend den Fernseher einschalten lässt: Merz verpasst Mehrheit im 1. Wahlgang der Kanzlerwahl. Uff. So etwas hatte es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben, das war ein echter Knall, der da von Berlin ausging.

Das gab es bisher deswegen nicht, weil bisherige Kanzlerkandidaten in ähnlich knappen Fällen simple politische Maßnahmen ergriffen hatten. Beispielsweise, indem sie in der Opposition darum geworben hatten, ob nicht ein paar Stimmen auch hier noch zu holen wären. Gerhard Schröder soll das so gemacht haben, als sich die Anzeichen mehrten, dass es eng werden könnte. Auch Merz soll vorher gewarnt gewesen sein - unterließ derartige Schritte jedoch. Ein Pokerspiel, das spektakulär im Worst Case gipfelte - eben jener verpassten Mehrheit.

Die Fraktionen einigten sich dann zwar überraschend darauf, abweichend von der Geschäftsordnung noch am selben Tag den nächsten Wahlgang zu veranstalten - und hier spielten sogar AFD und Die Linke mit. Aber die heftige politische Backpfeife an den ungeplant spät gewählten zehnten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland war da ja auch bereits verteilt.

Wer es genau war, wird sich wohl nie sicher ermitteln lassen. Die Wahl war ja geheim. Merz’ Schuldenpolitik hatte in der eigenen Fraktion schon die letzten Monate für genug Unmut gesorgt, sodass sich auch hier Leute finden könnten, die ihren Frust rausgelassen haben. Missgünstige Merkelianer mag es ebenfalls noch einige geben, die mit Merz als Person fremdeln. Aber vor allem in der SPD und hier insbesondere in den Juso-Kreisen gibt es eine massive Abneigung gegen Friedrich Merz.

“Verdächtige” gibt es also genug. Man kann zu deren Verteidigung jetzt mutmaßen, dass sie nicht haben kommen sehen, dass es so viele Abweichler gibt, dass der Wahlgang scheitert. Ein Statement zur Person setzen zu wollen, ist ja nun mal nur das eine, eine Wahl zu vergeigen aber etwas ganz anderes und man darf auch den Abweichlern unterstellen, dass sie im Prinzip schon Teil einer Regierungskoalition sein wollten.

Aber das sind sie jetzt ja auch. Interessant ist, dass ausgerechnet Linke und Grüne in trauter Gemeinschaft mit der AFD gegen Merz gestimmt und das auch offen so kommuniziert haben. Brandmauer hat man hier wieder einmal etwas sein lassen, was nur die CDU zu betreffen hat, wie es scheint.

Die CDU wiederum kann froh sein, dass die AFD nicht gemacht hat, was durchaus auch hätte passieren können, nämlich geschlossen Merz zu wählen, mit dem Ergebnis, dass der am Ende doch im ersten Wahlgang gewählt wird, obwohl das Ergebnis nahelegt, dass er somit nur wegen der AFD Bundeskanzler wurde.

Das wiederum wirft noch einmal ein besonderes Schlaglicht auf die politische Verantwortungslosigkeit der Abweichler, die sich der Tragweite ihrer kleinen lustigen Protestaktion im besten Fall nicht ansatzweise bewusst waren, was sie allerdings als Idioten markiert. Schlimmstenfalls haben sie eine solche Machtdemonstration und Demontage unserer demokratischen Institutionen aber auch einfach in Kauf genommen - was einen definitiv an der Eignung der abweichenden Abgeordneten zweifeln lassen müsste. Zu deren Glück wiederum ist die Kanzlerwahl geheim.

Vermutlich wird das alles bereits ab der kommenden Woche praktisch keine Rolle mehr spielen. Für diese Woche war es aber der absolute Krimi.

Und ebenfalls in dieser Woche begann man dann auch direkt mit dem Regieren. Merz flog nach Paris und Warschau, Dobrindt schloss derweil die Grenzen. Wait, what?

Jawohl, Alexander Dobrindt, neuer Bundesinnenminister, setzte tatsächlich um, was der neue Bundeskanzler vor der Wahl zwar mal angekündigt hatte, was aber niemand so richtig geglaubt hat. Asylsuchende werden seit dieser Woche an den EU-Binnengrenzen rund um Deutschland abgewiesen. Fürs Erste. Wie lange das gut geht, wie lange auch die Nachbarstaaten das so mitmachen, ob das rechtlich so überhaupt tragbar ist - offene Fragen gibt es genug. Dass die allesamt keine Rolle zu spielen scheinen, deutet darauf hin, dass es hier offenbar vor allem um Symbolik ging.

Nachdem AFD und Union in einigen Umfragen in der letzten Zeit schon zum Gleichstand gewachsen, beziehungsweise geschrumpft waren, ist dieser Schritt aus der Perspektive der PR-Strategen der neuen Regierung vielleicht nachvollziehbar. Aber nur, wenn man wirklich glaubt, dass die AFD ab jetzt echt drastisch Stimmen verliert. Merz selbst hatte ja angekündigt, die inzwischen als rechtsextrem eingestufte aktuell größte Oppositionspartei halbieren zu wollen. Das würde allerdings voraussetzen, dass es AFD-Wählern wirklich um inhaltliche Positionen ginge und viel spricht dafür, dass es damit eben nicht getan ist, sondern diese Wähler in Wirklichkeit sehr wohl für einen Rechtsextremismus gestimmt haben. Und in dem Fall brächten auch solche Maßnahmen nichts, was die Wahlergebnisse betrifft.

Beim Thema Schuldenbremse sieht es etwas anders aus. Hier hatte man ja bereits angekündigt, das Gegenteil dessen zu machen, was man einst versprochen hatte. Und hier scheint den Koalitionären auch egal zu sein, wie ihre Wähler das beurteilen. Es sieht allerdings auch nicht danach aus, dass sich wahnsinnig viele Wähler an den geplanten Schulden stören.

Im Gegensatz möglicherweise zur EU. Was uns zum nächsten interessanten Aspekt dieser Kanzlerwahl bringt. Denn die basiert ja ganz entscheidend auf jener angedachten Schuldenorgie, mit der sich insbesondere die Sozialdemokraten haben einkaufen lassen. Vor etwa 14 Tagen machte nun eine Schlagzeile die Runde, die anzweifelte, dass der ganze Spaß überhaupt EU-konform sei. Was ist also, wenn Brüssel dem neuen Kanzler also den tödlichen Strich durch die sowieso schon reichlich windige Rechnung macht? Diese Gefahr ist real und sie würde wohl fast zwangsläufig Neuwahlen bedeuten. Mit so einem Damoklesschwert über sich in eine Regierung zu starten, erfordert wenigstens richtig Eier. Etwas negativer ausgedrückt, könnte man auch die Seriosität dieser Regierung bereits ab Tag 1 anzweifeln.

Man konnte also durchaus aus guten Gründen gegen Merz gestimmt haben. Auf der anderen Seite wäre seine Niederlage auch im zweiten Wahlgang politisch und für das Land aber trotzdem eine Katastrophe gewesen, denn auch das hätte vermutlich dann ab einem gewissen Punkt unweigerlich zu Neuwahlen führen müssen - und spätestens dann massiv Vertrauen in unsere Demokratie gekostet. Denn wenn sich die beiden alten großen Parteien nicht mehr auf irgendwas einigen können, dann kann man ein demokratisches System durchaus als sich weitgehend am Ende befindlich betrachten. Ob das den Abweichlern so klar gewesen ist, das darf man bezweifeln.

Aber immerhin dieses Szenario wurde ja abgewendet. Verschiedene Vorhaben der neuen Regierung klingen je nach politischer Einstellung mehr oder weniger fragwürdig, manches ist schlicht notwendig. Die Herausforderungen der Zeit waren lange nicht so groß und ob das bei jedem Parlamentarier wirklich angekommen ist, daran muss man nach dieser Chaos-Abstimmung wenigstens leise zweifeln.

Aber: Deutschland hat seit dieser Woche wieder eine Regierung. Und in gewohnter Manier betrachten wir es als eher positiv, wenn die mit ein wenig mehr Showeffekt als erwartet gestartet ist.

Wir wünschen erstmal gutes Gelingen.


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