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WM030 Hamburgs Kampfansage an die nächste Autokraten-Shitshow (22/2025)
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WM030 Hamburgs Kampfansage an die nächste Autokraten-Shitshow (22/2025)

Hamburgs Kampfansage an die nächste Autokraten-Shitshow

Sie haben es tatsächlich getan: Die Hamburger haben sich offiziell beworben als Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele. Und zwar die des Jahres 2036, 2040 oder 2044. Das “offiziell” muss man etwas relativieren. Genau genommen hat Hamburg seinen Hut in den Ring geworfen, deutscher Austragungsort für eines dieser drei Spiele zu werden - falls denn Deutschland sich bewirbt. Da haben wir es also durchaus noch mit ein paar dicken “Wenns” zu tun.

Trotzdem ist die Bewerbung bemerkenswert. Denn Hamburg hatte sich vor rund zehn Jahren schon einmal ins Spiel gebracht als Austragungsort. Damals auf Initiative der Köpfe hinter dem Miniaturwunderland, jener größten Modelleisenbahnanlage der Welt.

Die Modellbahner haben mit der aktuellen Bewerbung nichts zu tun. Vorgestellt haben das neue Konzept in dieser Woche der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher und sein Kollege aus Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Denn ein Teil der Spiele soll genau wie im alten Konzept auch dieses Mal in Kiel ausgetragen werden. Offiziell, weil das für einige Wettbewerbe angeblich besser geeignet sei. Was bestimmt so sein kann. Vermutlich spielen aber auch Kosten eine Rolle, die sich natürlich besser auf zwei Bundesländer aufteilen lassen. Von den Herausforderungen für die Sicherheitskräfte ganz zu schweigen.

Wie schon vor zehn Jahren soll es auch für dieses Konzept ein Referendum geben. Wie schon vor zehn Jahren, glauben die verantwortlichen Akteure fest daran, dass die Bürger ihre Begeisterung teilen und natürlich dafür stimmen werden.

Ob das - anders als vor zehn Jahren - der Fall sein wird, werden wir im kommenden Jahr erfahren, wenn das Referendum tatsächlich stattfindet. Aber vor zehn Jahren jedenfalls stimmte Hamburg mit knapper Mehrheit dagegen. Wobei allerdings nur jeder zweite Hamburger an der Abstimmung teilgenommen hatte. In Kiel nahm gar nur ein Drittel der Bürger am dortigen parallelen Referendum teil. Dafür fiel das Ergebnis wenigstens deutlich pro Olympia aus.

Vordergründig betrachtet sprechen die damaligen Ergebnisse der Abstimmung und, wenn wir mal ehrlich sind, auch die niedrigen Teilnahmezahlen an den Referenden, nicht unbedingt für eine superkrasse Olympiabegeisterung sowohl Hamburgs als auch Kiels.

Schaut man aber etwas genauer hin, dann hatten wir damals bereits die Situation, dass alle, wirklich alle Fraktionen der Hamburger Bürgerschaft - mit Ausnahme der Die Linke, aber zum Beispiel inklusive der damals noch nicht rechtsextrem eingestuften AFD - ausdrücklich für Olympia waren und dafür aktiv warben. Genau wie natürlich die Hamburger Regierung. Deren Chef hieß damals übrigens Olaf Scholz. Die Bürger ließen sich also zwar nicht begeistern - ihre gewählten Vertreter hingegen waren sich fast komplett einig.

Sieht man sich an, wie die einzelnen Bezirke Hamburgs abgestimmt hatten, fällt auf, dass je weiter die Leute weg vom Zentrum - und damit von den Spielen an sich - lebten, eher dafür waren.

Hätte man den sogenannten „Speckgürtel“ nördlich und südlich Hamburgs ebenfalls gefragt, wäre sicherlich eine deutliche Mehrheit pro Olympia dabei rausgekommen.

Denn es ist wie immer: Die, die am meisten davon haben, sind schon die, die nicht direkt von dem ganzen Trubel betroffen, um nicht zu sagen beeinträchtigt sind.

Denn im Zentrum hat man halt das komplette Verkehrschaos und all die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch Menschenmassen und Sicherheitsmaßnahmen.

Auch die zu erwartenden Steigerungen von Mieten durch die erhöhte Nachfrage vor und während Olympia einerseits und durch die international zur Schau gestellte Attraktivität dieser Stadt andererseits, die sicherlich zu mehr Tourismus auf die Dauer führen würde, findet man als direkter Anlieger nicht zwingend toll.

Die Menschen im Umland hingegen erhalten in jenem großen Naherholungsgebiet namens Hamburg diverse Upgrades wie neue U-Bahnverbindungen, eine rundum aufgehübschte Stadt - und nicht zu vergessen ein neues Stadion für den HSV.

Und das alles, ohne von den Bauarbeiten groß etwas mitzubekommen, denn die kann man ja als Nichthamburger immer ganz gut meiden und umfahren. Und man muss ja auch nicht nach Hamburg fahren, solange es eine nervige Baustelle ist.

Außer halt, man wohnt da. Dann hat man diese Option nicht, dafür hat man schon zahn Jahre vor den Spielen das volle Programm an Nachteilen. Träumchen.

Und Apropos HSV: Der vielleicht größte PR-Bock, den die Initiatoren dieser zweiten Bewerbung Hamburgs für Olympia geschossen haben, könnte die Ankündigung gewesen sein, man werde so oder so dem HSV ein neues Stadion bauen.

Hamburg ist fußballstechnisch eine geteilte Stadt. Seit einigen Tagen zwar wieder mit gleich zwei Erstligisten - das macht die Sache aber natürlich nicht besser. Würde man die Kartendarstellungen der 2015er-Befürworter von Olympia und der Wohnorte der meisten HSV-Fans übereinanderlegen, wären die verblüffend deckungsgleich. Es wäre vermutlich zuviel der Kaffeesatzleserei, würde man behaupten, dass hätte damals schon den Unterschied gemacht. Denn auch damals schon sollte der HSV maßgeblich profitieren.

Aber rein taktisch hätte man wohl dieses Mal lieber nicht schon durch diese Bevorzugung des aus der Sicht der meisten Innenstädtler “falschen” Fußballvereins eine negative Grundstimmung in genau den Stadtteilen erzeugt, die ohnehin eher gegen Olympia sein werden als dafür.

Und so fühlt sich ganz vieles an dieser Bewerbung an, wie ein Deja-Vu. Die Linke ist, na klar, auch dieses Mal wieder dagegen, es wird auch dieses Mal ein Referendum geben, auch dieses Mal ist Kiel der andere Austragungsort, das Konzept ist ingesamt zwar geringfügig anders, aber auch dieses Mal wieder versucht man es vor allem im innenstädtischen Bereich zu halten - und auch dieses Mal kommt praktisch sofort nach Verkündung des Konzeptes von genau hier eine erwartungsgemäß steife Brise an Gegenwind.

Teils verständlich und zurecht, teils einfach nur aus einem dort stark verankerten linken Zusammengehörigkeitsgefühl, das generell Großveranstaltungen vor der eigenen Haustür eher kritisch sieht und sich für Hamburg eher weniger als mehr davon wünscht. Der Hamburger Innenstädter fremdelt schon mit verhältnismäßig lokalen und kurzen Angelegenheiten wie dem Hafengeburtstag oder den Harley Days. Mit Sicherheit aber will er keine gigantomanischen Geschichten wie olympische Spiele, die die komplette Innenstadt mindestens Wochen beherrschen würden.

Es ist allerdings so, dass sich gegen Olympia fast überall, wo im freien Westen welche veranstaltet werden sollen, viele Menschen dagegen wenden. Weil sie es gewohnt sind, dass ihre individuellen Rechte und ihre individuellen Meinungen nicht scheißegal sind. Das unterscheidet westliche Austragungsorte von solchen in China. Und ja, einmal ein paar Wochen Olympia feiern kostet den Austragungsort und den Staat, der sich auch als Ganzes als Gastgeber sieht, unfassbar viel Geld.

Die Pariser Spiele im Jahr 2024 zum Beispiel - das wären die Spiele gewesen, um die Hamburg sich beim letzten Mal beworben hätte, hätten seine Bürger das nicht verhindert - sollen fast 9 Milliarden Euro gekostet haben. 100 Millionen Euro davon allein die Eröffungsfeier.

Nun sind aber die Spiele eine wirklich gute Werbung für jeden Austragungsort. Die Orte profitieren davon noch Jahrzehnte - mindestens. Selbst das Berliner Olympiastadion, das unüberwindbar mit der 1936er Selbstinszenierung durch die Nazis verknüpft ist, ist nicht nur bis heute eines der bekanntesten und meistgenutzten Stadien Deutschlands, sondern auch abseits seiner konkreten Nutzung nach wie vor ein touristisches Highlight der an touristischen Highlights durchaus reichen Stadt. Die Spiele sind fast hundert Jahre her und waren unbestritten eine der fiesesten Propagandashows der Menschheitsgeschichte. Die langfristige positive Wirkung für die Stadt scheint das indes überhaupt nicht zu schmälern.

Die 1972er-Sportstätten von München sind auch nach über fünzig Jahren noch atemberaubende Touristenattraktionen, allen voran das ikonische Zeltdach-Stadion. Das Olympische Dorf als Wohnstätte ist nach wie vor ein Gewinn für die Stadt und ohne die erst damals geschaffene U-Bahn ist der Münchner Nahverkehr heute undenkbar. Und auch, wenn die Spiele von München überschattet werden von den palästinensischen Morden an der israelischen Olympiamannschaft, fällt dieser Schatten interessanterweise eben nicht wirklich auf den Austragungsort.

Es ist unstrittig: Olympia auszutragen, hat seine Vorteile. Es ist ebenso unstrittig, dass das auch seine Nachteile hat. Einige für die direkten Anwohner haben wir bereits genannt. Die Kosten sind aber ein weiterer, wirklich heftiger Nachteil. Denn die stehen trotz allem in keinem vernünftigen Verhältnis zu jedwedem Nutzen, egal, wie optimistisch man den ansetzen möchte.

Die freilich trägt nicht der Austragungsort allein. Hamburg als relativ kleines Land könnte die vielen Milliarden, die das kosten wird, auch niemals ganz allein schultern. Wir reden hier von Summen, die um und bei einem Viertel des jährlichen Gesamthaushaltes der Freien und Hansestadt liegen. Doch üblicherweise sieht sich ja die ganze Nation als Gastgeber - und wenn der Bundespräsident den ganzen Spaß feierlich und zur Mehrung auch seines Ruhmes und dem des Landes eröffnen möchte, dann gehört es sich natürlich so, dass der Bund ordentlich mithilft, die Spiele auch infrastrukturell zu einem Erfolg zu machen.

Trotz auch dieser Effekte auf der Habenseite aus Hamburger Sicht, muss man wohl hinnehmen, dass die Kosten für die Stadt selbst den monetär bezifferbaren Nutzen auch langfristig kaum aufwiegen. Wie man es dreht und wendet: Man leistet sich da etwas. Das muss einem bewusst sein. Und das muss man wollen.

Das allerdings ist ja mit jeder Großveranstaltung so. Das ist selbst mit Landes- oder Bundesgartenschauen so, die regelmäßig bundesweit in größeren und kleineren Städten stattfinden. Die sind als Event deutlich weniger spektakulär als Olympia - kosten auch viel weniger. Aber auch hier leistet man sich als Austragungsort eine gehörige Aufhübschung der Stadt. Und wenn es gut geplant ist, auch mit dauerhafter Wirkung. Ausgerechnet Hamburg hat das in der Vergangenheit sehr nachhaltig hinbekommen. Der bekannteste Park der Stadt heißt Planten un Blomen und wurde zwar nicht eigens für solche Gartenschauen geschaffen, war aber die letzten 130 Jahre wiederholt ihr Austragungsort und ist auch als Ergebnis davon bis heute beliebter Ort der Naherholung für unsere ansonsten Großveranstaltungen eher skeptisch gegenüberstehenden Hamburger Innenstädter.

Trotzdem: Jeder Versuch, sich eine Olympia-Teilnahme finanziell schönzurechnen, muss scheitern. Wenn man nur diesen Aspekt sehen will, wird man immer gegen eine Bewerbung sein müssen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade eher linksdrehende City-Hipster und Latte-Macchiato-Grüne, die ansonsten wenig Schmerzen damit haben, Millionen und Milliarden Euro Steuergeld wenig nachhaltig auszugeben, bei solchen Veranstatlungen auf einmal hyperskeptisch werden. Aber von der Hand zu weisen ist jedenfalls nicht, dass derartige Projekte jedes Mal ein riesiges Steuergroschengrab sind.

Nur: Was ist denn die Alternative?

Wir hatten 2008 Olympische Spiele in Peking. Und Peking nutzte die für eine große Propagandaschau, wie es Berlin 1936 bereits getan hatte. Auch wenn der Unterschied darin liegt, dass Berlin 1930, als man es zum Ort der Spiele sechs Jahre später machte, noch gar keine Diktatur war, China das hingegen schon sehr, sehr lange ist und man es hätte wissen können und somit abwenden müssen. Hat man aber nicht.

Wir hatten Olympische Winterspiele in Russland, die ebenfalls zur Selbstdarstellung des russischen Regimes missbraucht wurden. Es gab die Fußball-WM von Katar, unlängst erfolgte eine Vergabe ins mindestens genauso zweifelhafte Saudi-Arabien.

Man kann die Kosten aus guten Gründen scheuen, man kann die Gigantomanie verachtenswert finden, man kann sogar die um ihre Ruhe sowie ihre finanzielle und physische Sicherheit besorgten Anwohner verstehen.

Aber die Alternative dazu, diese Shows der Superlative nicht zu eine Demonstration der Überlegenheit westlicher Demokratie und Freiheit zu machen, ist, dass Diktaturen, Autokraten, antiwestliche Ideologien und Systeme dankbar in die Bresche springen und der Welt weis machen wollen, wie superkrass sie sind, wie glücklich und leistungsfähig ihr geknechtetes Volk ist, wie überlegen doch Systeme sind, in der die Meinung und die Freiheit des Einzelnen sich dem Großen Ganzen brav unterzuordnen weiß und selbst ein paar tausend Tote während der Bauarbeiten manchem Gastgeber nicht mal eine Erwähnung wert sind, weil das in ihrem Wertegerüst kein nennenswerter Preis ist und einzelne Menschenleben dort schlicht und ergreifend einen Dreck wert sind.

Und genügend Orte in derart zweifelhaften Weltgegenden sind längst auch für die Spiele, um die Hamburg sich bemüht, im Rennen. Aktuelle Mitbewerber befinden sich beispielsweise in der Türkei, China, Ägypten und Katar.

Wir widmen das Denkmal dieser Woche dem Gedanken, dass die Verhinderung schamloser einseitig positiver Selbstdarstellung der Diktaturen und Autokratien dieser Welt dem Westen vielleicht doch alle vier Jahre die paar Milliarden Euro sauer verdientem Steuergeld wert sein sollte. Stellen wir doch bitte lieber den European Way of Life übertrieben einseitig, notfalls absurd kitschig aber wenigstens positiv dar, als dass wir diese Bühne kampflos den uns in vielen anderen Disziplinen inzwischen hoffnungslos überholenden freiheitsskeptischen Systemen vor allem Asiens überlassen.

Was sind schon 10 Milliarden Euro, wenn wir uns dafür ersparen, erneut Schweinesystemen wie dem chinesischen, der mörderischsten Diktatur der Welt, dabei zuzusehen, seine angebliche Überlegenheit international zu präsentieren und unsere zentralen Grundwerte wie Demokratie und Menschenrechte komplett zu entwerten, noch dazu unter Missbrauch dieser ur-europäischen Veranstaltung, wie es Olympia nun einmal ist?

Hamburg bewirbt sich hier nicht einfach um Olympische Spiele. Es sagt einer weiteren Autokraten-Shitshow den Kampf an. So deutlich würde ein hanseatischer Understateler wie Peter Tschentscher das nie sagen.

Aber so ist es und so wird ein Schuh draus.


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