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WM031 Operation Spinnennetz (23/2025)
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WM031 Operation Spinnennetz (23/2025)

Operation Spinnennetz

Wir alle kennen und lieben James Bond und andere Spionage- und Sabotagegeschichten. Die stellen die Arbeit von Geheimdiensten und ihre Operationen in der Regel deutlich spektakulärer dar, als sie in der Realität sind. Natürlich tun sie das, weil sie ja unterhalten wollen. Es sind keine Dokumentationen, die uns zeigen, wie Geheimdienste in Wirklichkeit arbeiten, wollen das auch gar nicht sein.

Wir Nachkriegskinder, bei denen selbst der Kalte Krieg eine ganze Weile her ist, wenn wir ihn denn überhaupt miterlebt haben sollten, nehmen Geheimdienstarbeit mittlerweile nur noch selten wahr. Die Tötung Osama Bin Ladens war sicherlich das Ergebnis aufwendiger Geheimdienstaufklärung. Die Tat selbst, also der spektakuläre Teil daran, hingegen nicht. Das war einfach eine Truppe Seals, also jener Superhaudegen des US-Militärs, dass man immer schickt, wenn man alle Eventualitäten ausschließen will.

Geheimdiensteinsätze waren bis vor Kurzem also etwas, das im Kino wahnsinnig spannend aussah und in der Realität fast schon nur noch den Charme des Arbeitsalltags einer normalen Behörde hatte. Einzig russische Dienste mit ihren perversen Gift- und Fenstersturzmorden gingen zwar etwas darüber hinaus, das aber mehr im wenig eleganten und ehrlich gesagt verachtenswertem Stil von schlechten Filmen entlehnten Mafiakillern.

Als aber im vergangenen September binnen Sekunden tausende Pager und Walkie-Talkies explodierten, die sich in Verwendung der Hisbollah im Libanon befanden, was wirklich kein Zufall sein konnte und sich kurze Zeit später tatsächlich als Operation israelischer Geheimdienste herausstellte- da war er da! Der What-the-fuck-Moment.

Sowas also können Geheimdienste heutzutage auch noch? Unglaublich und absolut irre. Und selbst dann beeindruckend, wenn man die Aktion selbst, bei der natürlich auch Unschuldige zu Schaden gekommen sein dürften, nicht positiv sehen wollte, konnte man nicht anders, als seinen Hut zu ziehen. Ob des betriebenen Aufwandes bei der Vorbereitung, der Idee an sich und schließlich ihrer spektakulären und erfolgreichen konkreten Umsetzung.

Geheimdienste waren auf einmal eben doch wieder ein bisschen wie James Bond. Wenigstens manche. Mindestens die der Israelis offensichtlich.

Seit dieser Woche muss man auch die ukrainischen Dienste in diese Liga einordnen. Denn die haben vor Augen der ganzen Welt mit der Operation Spinnennetz nicht nur operativ spektakuläres abgeliefert, sondern in der Wirkung wirklich etwas bewegt, dass ihrem Gegner richtig, richtig weh getan hat und wovon er sich wahrscheinlich viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte nicht erholen wird.

Den Auftakt bildeten explodierende Langstreckenbomber überall in Russland. Und zwar wirklich überall, bis hinein ins tiefste Sibirien. Die Flugzeuge explodierten aber nicht von selbst, sondern man hatte Drohnen darauf trainiert, die verwundbarsten Stellen selbständig anzugreifen. Das konnte die Ukraine, weil sie in ihren Militärmuseen exakt die gleichen Modelle stehen hatte und die Attacke so mit gezielten KI-Trainings akribisch vorbereiten konnte.

Natürlich können Drohnen nicht von der Ukraine bis Sibirien fliegen. Gestartet wurden sie von LKW-Anhängern, die Tage, vielleicht gar Wochen in Russland unterwegs waren. Sie verfügten über eine Art doppelten Boden, der sich beiseite schob und dann war der LKW auf einmal eine Art fahrendes Drohnen-Mutterschiff. Der Rest passierte dann von allein - und im Anschluss zerstörten sich die LKW dem Vernehmen nach sogar selbst.

Mit Verlaub: das hätte auch in einem James-Bond-Film exakt so passieren können und man hätte gesagt wow, sowas habe ich ja noch nie gesehen. Ab er es war die Realität - und ein weiterer echter What-the-fuck-Moment.

Die Aktion war aber eben nicht nur in ihrer Machart spektakulär, sondern auch in ihren Auswirkungen. Die ukrainischen Geheimdienste zerstörten am vergangenen Sonntag nicht weniger als 34 Prozent der russischen strategischen Bomberflotte. Das sind jene Maschinen, die die Ukraine seit Jahren ständig angreifen. Und es Flugzeuge, die normalerweise auch dazu da sind, Kernwaffen ins Ziel zu fliegen. Die Ukraine hat damit die nukleare Abschreckung Russlands empfindlich angegriffen und signifikant dezimiert.

Russland ist aktuell nicht in der Lage, diese Flugzeuge einfach so neu zu bauen. Heißt: Die sind bis auf Weiteres unwiederbringlich verloren. Es wurde ein Schaden angerichtet, der nicht zu beheben ist.

Allerdings geht der tatsächliche Schaden sogar noch deutlich über den Verlust dieser Flugzeuge hinaus. Denn was die Aktion vor allem gezeigt hat ist, dass theoretisch nichts in Russland sicher ist. Was die Ukrainer mit Bombern auf militärisch gesicherten Stützpunkten machen können, können sie auch mit jedem Treibstoffdepot, jeder Eisenbahnbrücke - und wenn sie wollen auch einem Präsidentenpalast Putins machen.

Und das ist, abgesehen von dem für Russland wirklich fiesen Verlust der Flugzeuge, die wirklich heftige Botschaft. Denn schon, wenn Russland versuchen wollen würde, alle seine Flugplätze gegen derartige Angriffe zu schützen, wäre das extrem aufwendig und wahrscheinlich gar nicht vollumfänglich möglich. Zumindest aber würde es eine viel zu lange Zeit dauern, so etwas umzusetzen. Die Flugzeuge stehen offensichtlich, Videos der Angriffsdrohnen zeigen das, noch nicht mal in Hangars, sondern einfach so im Freien. Die gesamte übrige Infrastruktur, insbesondere wichtige Bahnstrecken, lassen sich definitiv nicht flächendeckend gegen solche Angriffe schützen, keine Chance.

Das Aufzeigen dieser Verwundbarkeit stellt den konkreten militärischen Verlust also von der Wirkung her sogar noch in den Schatten.

Der nächste Streich folgte aber schon Anfang der Woche, als eine Detonation die Kertsch-Brücke erschütterte. Diese Brücke verbindet die Krim mit Russland und ist damit eine militärisch wichtige Verbindung, über sie wird aber auch die Bevölkerung auf der Krim versorgt. Nun ist es nicht mehr so, wie noch vor zwei Jahren, dass der Verlust der Brücke die Krim wirklich abschneidet. Aber ihr Ersatz sind Bahnlinien, die gefährlich nahe der Front verlaufen und zudem einen erheblichen Umweg bedeuten.

Die Brücke ist durch die Detonationen, die laut Ukraine durch angebrachte Sprengsätze geschehen seien und nicht durch Drohnen oder ähnliches, zwar nicht eingestürzt. Aber sie ist de facto bis auf Weiteres unbrauchbar - und wurde an einer Stelle empfindlich beschädigt, die nicht einfach zu reparieren sein wird. Auch diese Aktion ist spektakulär und wirkungsvoll gewesen.

Wir widmen das Denkmal dieser Woche der Renaissance jamesbondiger Geheimdienstaktionen - und der Ukraine, der es damit wie selten zuvor gelungen ist, zu zeigen, dass sie übrigens immer noch da ist. Dass sie offensichtlich unbeugsam wie nie auftritt und auch nach jahrelangem heftigen Krieg nicht nur dazu in der Lage ist, sich gegen die einstige Supermacht Russland zu wehren, sondern ihr durchaus auch massiven Schaden zuzufügen.

Zur Einordnung müssen wir allerdings hinzufügen: So beeindruckend die Operation Spinnennetz gewesen ist (falls sie denn bereits vollständig gewesen sein sollte und nicht noch läuft), sie entscheidet diesen Krieg nicht. Selbst die noch vorhandenen russischen Langstreckenbomber reichen locker aus, um die Ukraine im gleichen Maß weiter zu bombardieren, wie bisher. Und dass die Brücke zwar Dinge erschwert, aber nicht verunmöglicht, haben wir bereits dargelegt.

Die Attacken sind eine Demütigung Russlands, sie zeigen dem Land auf, wie verwundbar es wirklich ist. Das beendet den Krieg aber nicht. Bestenfalls verbessert es die Verhandlungsposition der Ukraine gegenüber dem Angreifer.

Schlimmstenfalls führen sie zu Reaktionen, die noch drastischer sind, als bisherige Racheakte der Russen. Allerdings ist das eher unwahrscheinlich, weil Russland eigentlich seit Jahren alles, wirklich alles versucht, um die Ukraine in die Knie zu zwingen, diese sich aber offensichtlich nach wie vor überraschend gut zu wehren weiß - und das zunehmend mit Aktionen, für die praktisch keine westliche Unterstützung nötig war, sondern die sozusagen Ukraine pur sind.

An der Reaktion Russlands, die sicherlich passieren wird (oder bei Erscheinen dieser Episode bereits erfolgt ist), wird man übrigens auch einmal mehr den Unterschied erkennen können, zwischen einem Verteidiger, der schon aus logischen Gründen militärische Ziele attackiert und einem Angreifer in zunehmender Verzweiflung, der zivile Opfer nicht nur in Kauf nimmt, sondern regelrechten Staatsterrorismus betreibt. Denn ziemlich sicher wird Russland irgendeine Aktion starten, die die Zivilbevölkerung trifft - Beispiele dafür gab es in diesem Krieg bereits genug.

Es spricht aber wiederum für die Entschlossenheit der Ukraine, dass sie, in Kenntnis und Erwartung des entsprechenden Gegenschlags, dennoch Operationen eines solchen Kalibers zu fahren wagt.

Um den Willen beider Seiten kann man sich unabhängig von aktuellen Erfolgen und Großtaten dennoch nur wünschen, dass dieser Wahnsinn möglichst bald endet. Und wir hoffen, dass diese Operation Spinnennetz, die uns in dieser Woche ungläubig in YouTube-Kanäle hat starren lassen, hierzu einen möglichst großen Beitrag leistet.


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