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WM002 Vom Wahlkampfblitzstart zu einem Fest der Demokratie (KW46/2024)
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WM002 Vom Wahlkampfblitzstart zu einem Fest der Demokratie (KW46/2024)

Nein, die Idee dieses Podcasts ist es nicht, monothematisch auf die deutsche Politik zu blicken. Aber nach dem Hammer in der letzten Woche war es ja absehbar, dass auch diese Woche vom Thema Neuwahl bestimmt werden würde.

Nach anfänglichem Chaos, dass wirkte, als würde Scholz auch ohne Mehrheit möglichst lange Bundeskanzler bleiben wollen, hat ihn die CDU eines besseren belehrt und der Wahltermin ist jetzt gefunden und alle arbeiten auf den 23. Februar hin. Natürlich ist es rein symbolisch, dass man Scholz ursprüngliche Planung damit um ein paar Tage unterboten hat - einen echten praktischen Nutzen hat das wahrscheinlich nicht. Dafür ist die Organisation jetzt eben ein bisschen stressiger.

Und das war natürlich auch ein Riesenthema, denn angeblich hätte die Wahlleiterin zum Kanzler gesagt, dass das Papier womöglich gar nicht reichen würde.

So lautet jedenfalls die polemische Version der Ereignisse. In Wirklichkeit hat sie ein paar Dinge aufgezählt, die zu einem Problem werden könnten, wenn die 60-tägige Frist, die unser Grundgesetz für Neuwahlen nach einer gescheiterten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers vorsieht, nicht voll ausgeschöpft würde. Das ist in so einer Situation selbstverständlich der Job einer Bundeswahlleiterin. Sie hat auch diverse andere Sachen aufgezählt, über die komischerweise aber keiner redet. Dass Gemeinden dann eben in sehr kurzer Zeit Wahlhelfer finden müssten, zum Beispiel. Oder der Umstand, dass ein großer Teil der Vorbereitungen in die Vorweihnachtszeit fällt. Die Parteien müssen also mit ihren Versammlungen nun gucken, dass das trotz zahlloser Weihnachtsfeiern irgendwie stattfinden kann. Denn die Versammlungen vor Ort müssen praktisch umgehend, die nächsten 2-3 Wochen mindestens terminiert und eingeladen werden, damit spätestens im Dezember Kandidaten auf Landesparteitagen gewählt werden können, wie es das Gesetz ja nun mal vorsieht. Anfang Januar muss das nämlich alles feststehen, da werden dann die Wahlausschüsse tagen und die Listen und die Direktkandidaten zulassen und anschließend werden dann die Druckereien tätig. Die Wahlzettel sollen spätestens in der zweiten Januarwoche fertig und ausgeliefert sein, denn da fängt normalerweise die Briefwahl an - da sind wir dann sechs Wochen vor dem Wahltermin.

Ein nicht zu unterschätzender Teil dieses ganzen Wahnsinns wird rein ehrenamtlich organisiert, muss aber nichtsdestotrotz klappen. Während einige selbsternannte Experten der Bundeswahlleiterin ihre Eignung absprechen, weil sie auf diese möglichen Schwierigkeiten hinwies, würde ich ja sagen, dass sie in ihrer Position völlig falsch wäre, hätte sie es nicht getan. Anders als die ganzen Internethelden, die sich über die angebliche und so nie getätigte Papiermangel-Aussage der Bundeswahlleiterin künstlich aufregen, habe ich in meinem Leben aber auch schon etliche Male diverse dieser ganzen ehrenamtlichen Stationen, vom Wahlhelfer über den Wahlausschuss beim Landkreis bis hin zur Kandidatur selbst mitgemacht und erlebt - und zwar unter Idealbedingungen, also nicht überraschend ein paar Monate verkürzt. Und so weiß ich, dass schon unter normalen Umständen alles wie am Schnürchen klappen muss, wenn es nicht in Stress ausarten soll. Und Stress will man vor allem deswegen nicht, weil dann Fehler passieren. Und wenn Fehler bei Wahlen passieren, dann beschädigt das dummerweise direkt die Demokratie und das ist das Gegenteil dessen, was alle Beteiligten normalerweise anstreben.

Dieses unselige Getue um angebliche Äußerungen der Wahlleiterin war ein zentrales Thema in der ersten Hälfte der Woche. Es wurde ein bisschen abgelöst von Robert Habeck, der frisch zum Kanzlerkandidaten Nummer vier gekürt wurde. Gemeinsam mit Friedrich Merz und Alice Weidel möchte er nun darum ringen, Olaf Scholz zu beerben. Scholz selbst ist natürlich nach wie vor ebenfalls Kanzler und Kanzlerkandidat zugleich. Auch wenn Teile der SPD noch daran arbeiten, daran etwas zu ändern und Boris Pistorius mit wachsender Verzweiflung darauf wartet, dass er endlich mal vorgeschlagen wird.

Aber von diesen vier Kandidaten war in dieser Woche eigentlich nur einer Thema - und das war überraschenderweise Habeck, nicht etwa Merz, der Scholz den nun gefundenen Wahltermin aufgedrückt hatte.

Habeck war indes auch nicht ganz freiwillig Top-Thema. Denn er hat sich als ganz frischer Kanzlerkandidat gleich mehrere Sachen geleistet, die bemerkenswert dumm wirken.

Zunächst hat er offenbar die Bundestagssitzung geschwänzt, in der es in der Debatte hoch her und insbesondere viel um Wirtschaft ging - was nicht gut aussieht, wenn man als Kanzlerkandidat gleichzeitig auch noch Bundeswirtschaftsminister ist. Der Regierungsflieger hatte technische Probleme, mal wieder. Die Bundeswehr hätte ihn dennoch aus dem Auslandsaufenthalt geholt, das hat Herr Habeck aber abgelehnt, weil der Rest der Delegation dann nicht auf diesem Weg hätte mitkommen können. Die Alternative Linienflug am nächsten Tag, die er stattdessen auch noch hätte nutzen können, wollte er aber auch nicht. Dringende Regierungsgeschäfte vor Ort sind keine bekannt. Daher trifft es “schwänzen” wohl tatsächlich, was jetzt echt ganz schön doof aussieht.

Ebenfalls doof sieht der amtierende Vizekanzler und Kanzlerkaniddat bei einer noch krasseren Nummer aus. Denn einer seiner Untertanen bekam kürzlich Besuch von einem Einsatzkommando: Hausdurchsuchung! Weil der Mann ein Bild geteilt hat, auf dem das Logo der Marke “Schwarzkopf” als “Schwachkopf” verballhornt wurde und darunter ein Bild von Habeck gezeigt war. Ein Joke, wie er jeden Tag zigtausendfach passiert - und ehrlich gesagt einer der harmloseren Sorte, ja fast schon niedlich und sehr, sehr weit weg davon, in irgendeiner Weise gefährlich zu wirken. Im Kern wurde ein Regierungsmitglied satirisch verulkt. Jede TV-Satireshow ist gemeiner und bissiger aber trotzdem war das hier nun einfach reine Satire und vielleicht sogar objektiv gesehen ein kleines bisschen witzig.

Während man deswegen zunächst dachte, dass eventuell irgendein Staatsanwalt hier merkwürdig freidreht, weil es so grotesk schien, wegen so etwas überhaupt tätig zu werden, geschweige denn eine Hausdurchsuchung zu initiieren, kam kurze Zeit später raus, dass es Habeck selber gewesen sein soll, der diese Albernheit zur Anzeige gebracht hat. Und das ist im Ernst und bei allem Verständnis dafür, dass sich auch Berufspolitiker nicht jeden Scheiß bieten lassen müssen, ein Problem.

Mich hat diese Aktion an das berühmte Winnie-Puh-Verbot in China erinnert, das es gab, weil der dortige Regierungschef es nicht ertragen konnte, ständig als Winnie Puh verballhornt zu werden. Totale Überreaktion, mit der er sich viel lächerlicher gemacht hat, als mit der eigentlichen Satire. Habeck erlebt hier gerade das gleiche - und zwar völlig zurecht.

Um es mal ganz deutlich zu sagen: Wer in einem freien Land Regierungschef werden will, der sollte mit Kritik an seiner Person - auch wenn sie unsachlich, vielleicht sogar albern ist - klarkommen können. Wir leben nicht in China und nicht im Iran, nicht in der Türkei und nicht in Russland. Und möchten auch keine Verhältnisse wie dort hier einführen. Wir wollen Habeck nicht unterstellen, dass er das wollen würde. Aber Fakt ist: Mit Aktionen wie dieser ist man sich allerdings nicht so sicher, wie Herr Habeck überhaupt zum Thema Kritik an seiner Person steht.

Und selbstverständlich wirkt das auch abschreckend und erzeugt die berühmte “Schere im Kopf”. Und das ist etwas, dass wir normalerweise von Autokraten und Diktaturen als Machtinstrument kennen und was in Deutschland eigentlich nichts zu suchen haben sollte. Schlimm genug, wenn das von irgendeinem Minister gekommen wäre. Aber hier reden wir seit einigen Tagen eben gleichzeitig vom Kanzlerkandidaten.

Das Denkmal dieser Woche widme ich daher der Demokratie insgesamt - verkörpert durch einen Wahlkampfauftakt, der selten so dynamisch und geballt abgelaufen ist. Die Debatten im Bundestag in dieser Woche waren erstmals seit Jahren wieder richtig schön leidenschaftlich. Genau so sollte Politik insgesamt sein: Durchaus unterhaltsam, dennoch immer wieder um Sachfragen rotierend und stets durchschimmernd, dass das Parlament die Regierung beherrscht und nicht umgekehrt. Den Wahltermin hat letztlich die Opposition bestimmt. Der ganze Bruch der Koalition hatte ja sehr klar erkennbar inhaltliche Gründe. Auch wenn nicht jeder Auswuchs angenehm sein mag: Was wir gerade erleben, ist eigentlich ein Hochfest der Demokratie, weil das Parlament die Zügel übernommen hat.

Einen interessanten Aspekt, der mir aufgefallen ist, möchte ich trotzdem nicht unerwähnt lassen: Die einzige Frau im Rennen um das Kanzleramt stellt ausgerechnet die AFD auf. Die, die immer vorgeben, sich für Frauen einzusetzen und sogar krasse Quoten bei allen anderen Kandidaturen haben, schlagen gleichzeitig nur Männer vor. Nun habe ich großen Respekt vor Frauen und finde es grundsätzlich total normal, wenn die für hohe Ämter kandidieren. Frau Weidel ist die allerletzte Person, die ich im Kanzleramt sehen möchte. Aber wie scheinheilig dieses ganze Quotengetue insbesondere von links (aber auch die CDU hat ja Frauenquoten) in Wirklichkeit ist, wird auch an dieser Stelle wieder einmal deutlich.

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