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WM004 Das Erbe der Bauernproteste (KW48/2024)
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WM004 Das Erbe der Bauernproteste (KW48/2024)

Vor etwa einem Jahr begannen die “Bauernproteste”, die sich in den Wochen darauf immer weiter aufschaukelten und schließlich richtig große Demonstrationen wurden. Auslöser war, dass die Bundesregierung Subventionen streichen wollte, insbesondere den sogenannten Agrardiesel, also die erheblich niedrigere Besteuerung von Diesel, der landwirtschaftlich genutzt wird.

Doch der Frust hatte sich über Jahre aufgestaut und liegt in Wirklichkeit darin begründet, dass Landwirte wie kaum eine andere Branche in einer Tour mit immer neuen Auflagen und Verboten genervt worden sind. Gleichzeitig handelt es sich bei Landwirten in der Regel um relativ kleine Unternehmen, die keine Fachabteilung haben, um den ganzen bürokratischen Wahnsinn mal eben wegzudrücken, sondern da sitzen die Landwirte dann eben selber bis tief in die Nacht über Papierstapeln, ohne deren korrekte Behandlung so ein Betrieb wirtschaftlich nicht mehr leben kann.

Kurz gesagt war es in der Sache schwierig, den Landwirten abzusprechen, dass sie zurecht genervt seien. Im Einzelfall konnte man sicherlich über das eine oder andere diskutieren, in Summe aber hatten die Zumutungen ein Maß erreicht, dass sich zurecht endlich mal entlud. Die Landwirte hatten auch tatsächlich einen großen Teil der Bürger auf ihrer Seite.

Was allerdings in der Folge passierte war, dass die Landwirte instrumentalisiert wurden von einem ganzen Blumenstrauß an populistischen und rechten, rechtspopulistischen und sogar rechtsextremen Organisationen. Der Ton wurde schriller. Auf den Demos waren plötzlich an einen Galgen gehängte Ampeln zu sehen, Teilnehmer schwenkten gar Fahnen terroristischer rechtsextremer Bauernbewegungen aus den 1920er Jahren, die heute als Vorläufer der NSdAP gelten. Offen rechtsextreme Parteien wie die “Freie Sachsen” nutzten die Demos als Bühne für ihre Social-Media-Arbeit. Genau wie Vertreter von AFD oder “Die Basis”.

Es blieb natürlich auch nicht bei friedlichen Protesten, sondern es wurde mindestens eine Veranstaltung der Grünen zum politischen Aschermittwoch schlicht verhindert und es wurden Politiker der Grünen angegriffen. Dem Landwirtschaftsminister wurde eine Autoscheibe eingeworfen, der Wirtschaftsminister am Verlassen einer Fähre gehindert - ironischerweise, während er auf dem Weg war, sich in den direkten Dialog mit Landwirten zu begeben.

Diejenigen, die diese Proteste zu instrumentalisieren versuchten, taten alles, um daraus so eine Art Volkssturm werden zu lassen und erklärten unentwegt, dass die Landwirte ja nur stellvertretend für “uns alle” unterwegs seien. Was offenkundig Quatsch war, denn auch wenn viele die Regelungen zum Beispiel zum Agrardiesel total okay fanden, haben von diesem wirklich ausschließlich diejenigen profitiert, die ihn nutzen durften und die protestierten somit in der Sache wirklich nur für ihre Interessen - was auch für die übrigen Kritikpunkte seitens der Landwirtschaft galt.

Und was auch total legitim ist. Daraus ein “es geht um unser aller Interessen” zu machen, war es hingegen nie und lässt sich auch im Nachhinein sachlich nicht begründen.

Natürlich gab und gibt es aber reichlich Kritik an der Bundesregierung und wir wollen nicht so tun, als seien Demos dagegen verwerflich oder nicht nachvollziehbar. So ist es nicht. Allerdings wurde aus diesen Bauerndemos eben trotzdem nie etwas, an dem sich der Normalbürger beteiligt hätte. Da standen im Wesentlichen Landwirte und Rechtspopulisten - und wären die Landwirte nicht mit ihren nachvollziehbaren Anliegen da gewesen, hätte man die ganze Veranstaltung wahrscheinlich kaum wahrgenommen. Genau so funktioniert das mit dem Instrumentalisieren.

Dieser Woche gebührt deswegen dieses Denkmal, weil am vergangenen Samstag versucht wurde, eine Neuauflage der letztjährigen Proteste auf den Weg zu bringen. Aufgerufen wurde zu einer großen Demonstration in Berlin. 10.000 Teilnehmer mit 1000 Traktoren waren angemeldet.

Initiator war ein Verein namens “Hand in Hand für unser Land”, der eine eigenwillige Mischung aus Rechtspopulismus und Interessensvertretung der Landwirtschaft zu sein scheint - und somit irgendwie das vereingewordene Abbild der Proteste, die vor einem Jahr Fahrt aufnahmen. Es finden sich Statements gegen Waffenlieferungen für die Ukraine, Märchen von “geplünderten Rententöpfen”, ein buntes Wünschdirwas aus sozialen Wohltaten, für die man einträte und die grundsätzliche Infragestellung des Begrenzens von CO2-Emissionen in einem langen Text, der mit “Warum wurde der Verein gegründet” überschrieben ist. Er liest sich inhaltlich teilweise wie das Programm der AFD und hat mit diesem gemein, dass es hübsch unkonkret Forderungen formuliert, sich aber nicht im Ansatz darum schert, ob das alles überhaupt realistisch ist, geschweigedenn Konzepte präsentiert, wie denn das eigentlich konkret gehen soll. Mit anderen Worten: blanker Populismus, der in Wirklichkeit nichts lösen will, sondern die genannten Probleme lediglich als Vehikel missbraucht.

Wenn man versucht, Eindrücke von der Großdemo in Berlin am letzten Wochenende zu finden, findet man so gut wie nichts. Der Verein selbst hat zwar einen YouTube-Kanal aber dort finden wir nichts. Auf dem Instagram-Account des Vereins gibt es ein sehr verwackeltes, unscharfes Video, auf dem eine lange, hupende Fahrzeugkollone zu erkennen ist. Bezeichnenderweise ohne irgendeinen Hinweis auf Aufnahmedatum oder Inhalt. Es gibt nur wenige Medienberichte über die Veranstaltung, die Polizei meldete ein paar hundert Teilnehmer statt der 10.000, die “TAZ” zählte etwa 20 Trecker statt der 1000 - auch wenn sie bemerkt, dass sich dafür viele PKW eingereiht hatten.

Es scheint, als sei der Versuch, eine Neuauflage der letztjährigen Proteste zu starten und diesen von vornherein den populistischen Spin zu geben, zumindest, was diesen Auftakt betrifft, grandios gescheitert. Offenbar haben die Landwirte keine Lust, sich ein weiteres Mal von diesen Leuten instrumentalisieren zu lassen. Die Zahl von einigen hundert Teilnehmern bei einer zentralen Demo in Berlin spricht aber auch dafür, dass auch ansonsten die Resonanz überschaubar ist.

Sicherlich spielt hier mit rein, dass in Kürze Bundestagswahlen stattfinden und diese vorgezogen worden sind, weil sich eben diese im letzten Jahr viel kritisierte Regierung selbst zerlegt hat.

Und das ist eine gute Nachricht. Denn das bedeutet, dass die Leute auf Wahlen vertrauen, statt auf populistischen Protest, der durch eigenartige Vereine getragen wird, aufzuspringen.

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