Was 13 Jahre Bürgerkrieg nicht erreicht haben, brachte eine Offensive einer islamistischen Gruppe binnen 14 Tagen zustande: Der syrische Diktator Assad ist Geschichte. Jedenfalls in Form seines Regimes. Das währte 24 Jahre, davor herrschte allerdings sein Vater bereits mit ähnlich eiserner Hand seit den 1970ern.
Man kann also sagen, dass eine Diktatur beseitigt wurde. Assad und seine Familie sind rechtzeitig nach Russland geflohen. Sie dürften sich so einem Prozess und vor allem jedweder Bestrafung entzogen haben. Was sich für Angehörige der vielen Opfer dieses Regimes, das seit Jahrzehnten fast wahllos Menschen verschleppt und in etlichen Fällen ermordet, in der Regel mindestens grausam misshandelt, oft verstümmelt und teilweise über lange, lange Zeit einfach festgehalten hat, unfair anfühlen muss. Trotzdem überwiegt, so berichten es jedenfalls Reporter vor Ort, verständlicherweise die Freude darüber, dass das Assad-Regime weg ist.
Dieser Teil der Geschichte ist eines der wenigen Dinge, die wirklich klar sind im Moment. Begrüßenswert ist das natürlich auch nicht nur aus der Perspektive der Syrer. Der Einfluss Russlands in der Region hat sich damit beispielsweise bis auf Weiteres pulverisiert. Israel hat gleichzeitig die Chance genutzt, praktisch das gesamte syrische Militär, inklusive Flugzeugen, Panzer, Waffenarsenale, mutmaßlich auch Chemiewaffen, zu vernichten - dies vor allem aus Sorge davor, dass derartige Waffen in den Händen von Islamisten eine existenzielle Gefahr für Israel darstellen können.
Können? Ja, denn sicher ist auch das nicht. Na klar: Die kurz HTS genannte Truppe, die Assad derart blitzartig wegfegte, ist ein Ableger der Al-Qaida. Längst kursieren Videos von HTS-Kämpfern, auf denen sie die baldige Eroberung Jerusalems und die Ermordung aller Juden ankündigen. Eine der ersten bekannt gewordenen Regierungsmaßnahmen war es, dass der frisch gebackene neue Justizminister Frauen verbot, sich als Richter zu betätigen. Ideologisch handelt es sich also allen Anzeichen nach um einen ähnlichen Steinzeit-Islamismus, wie man ihn von den Taliban oder eben der Al-Qaida kennt und beide Gruppen sind nicht gerade für ihre Friedfertigkeit berühmt.
Nur: Bisher tun sich die neuen Machthaber durch einen überraschend toleranten Umgang gegenüber der syrischen Bevölkerung hervor, die ja ein buntes ethnisches und auch religiöses Sammelsurium ist - zum Beispiel leben hier auch etwa 10% Christen, die muslimische Bevölkerung teilt sich zudem in Sunniten und Schiiten und weitere kleinere Gruppen.
Und so kann man den bisherigen Umgang der Islamisten mit ihrer Macht vielleicht einfach als Bemühung dahingehend einordnen, das Land nicht direkt in den nächsten Bürgerkrieg zu befördern, wovon sie am Ende mutmaßlich auch nicht viel hätten. Dennoch ist ein solcher Pragmatismus etwas Neues. Noch der IS wütete unter anderem auch in Syrien völlig anders und nutzte seinen Terror regelrecht als militärische Waffe. Der Feldzug und auch die Herrschaft der HTS lief bisher deutlich anders.
Dass die Bevölkerung dem Braten trotz aller Freude über das Ende von Assad noch lange nicht traut, wird an Kleinigkeiten deutlich. Dinge wie Weihnachtsmärkte, die geplant waren, verschiebt man lieber erstmal, weil keiner weiß, wie das neue Regime darauf reagieren würde. Läden, die davon lebten, dass sie Alkohol verkaufen, bleiben vorsichtshalber erstmal geschlossen, weil man auch hier nicht weiß, wie lustig die islamistischen Machthaber das wohl fänden. Man ist erstmal lieber vorsichtig.
Die Leute haben allerdings im Moment ohnehin andere Themen, um die sich sich erst einmal kümmern. Beispielsweise das Wiederfinden von Angehörigen. Dazu stehen sie aktuell vor Krankenhäusern und Leichenhäusern Schlange. In der Regel einem Gefühl der völligen Unsicherheit, weil sie völlig ahnungslos sind, ob ihr Bruder, Sohn, Ehemann oder wer auch immer überhaupt noch auffindbar sein wird und wenn ja, ob tot oder lebendig, verstümmelt oder wie durch ein Wunder “nur” als seelisches Wrack.
Das Assad-Regime, das wird jetzt deutlicher denn je - auch wenn es eigentlich nie ein Geheimnis war - hat grausam und rücksichtslos geherrscht. Das eigene Volk nicht nur brutal unterdrückt, misshandelt und ermordet, sondern auch in kaum in Worte zu fassendem Ausmaß ausgebeutet.
Jene Islamistentruppe, die letztendlich aus bettelarmen jungen Männern besteht, die buchstäblich nichts zu verlieren hatten, fand sich im Zuge der Eroberung der Hauptstadt plötzlich in Palästen wieder, deren Prunk wahrscheinlich auch in internationalem Maßstab wenig Vergleichbares findet. Dem grenzenlosen Reichtum der Assads stand die fürchterliche Armut der Bevölkerung gegenüber. Wie das eben so ist, wenn ein offensichtlich gewissenloser, allmächtiger Clan Jahrzehnte über ein Land herrscht.
Theoretisch bietet sich hier die Chance, dass sich das bessert. Praktisch würden wir da aber von einer Horde Islamisten mit zweifelhafter und oft sicher auch komplett fehlender Schulbildung erwarten, dass sie ein so kaputtes Land wirtschaftlich wieder auf die Beine stellen - während sie eigentlich eine ideologische Agenda verfolgen, die sich um derart weltliche Fragen überhaupt nicht schert. Es kann sein, dass sie die Leute einfach machen lassen und sich daraus eine gute wirtschaftliche Entwicklung ergibt - aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich reine Spekulation.
Seriös sagen, wo Syrien in einem Jahr steht, kann derzeit niemand. Diese Frage auch nur für die kommenden Tage und Wochen zu beantworten, wäre ja gewagt.
Vor diesem Hintergrund Debatten loszutreten, wann denn jetzt sämtliche Syrer, die in Deutschland Asyl gefunden haben die letzten 13 Jahre, sich auf die Heimreise machen, ist also verfrüht, um es mal vornehm auszudrücken. Strunzdämlich träfe es besser. Dennoch passiert es und die Union nutzt die Entwicklung in Syrien bereits als Wahlkampfthema - mit genau dieser Erwartung. Nämlich, dass jetzt ganz schnell und vor allem alle Syrer wieder nach Hause fahren sollten.
Fakt ist, dass viele das sehr wahrscheinlich auch jetzt bereits tun, vielleicht bereits getan haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele das nie tun werden. Und die Realisten unter uns wünschen sich das gar nicht erst, weil es selbstverständlich reichlich Syrer gibt, die bei uns längst Arbeiten übernommen haben, die ansonsten liegen bleiben würden.
Wie die Geschichte in Syrien weitergeht, weiß kein Mensch. Es sieht so aus, als wüssten selbst die neuen Machthaber das noch nicht so richtig, wie der doch sehr vorsichtige Umgang mit der Bevölkerung zeigt - das ist nicht, wie sich beinharte Islamisten normalerweise verhalten. Und es steht zu befürchten, dass dieser Zustand auch nicht ewig so tolerant anhalten wird.
Das Denkmal dieser Woche setzen wir daher dem überraschend schnellen Ende des Assad-Regimes, was bis dato das einzige wirklich gesichert erfreuliche Ergebnis der Vorgänge in Syrien bleibt. Den Menschen in Syrien kann man nur wünschen, dass sich das Land jetzt weiter in eine gute Richtung entwickelt. Das wäre auch für die gesamte Region wünschenswert.
Ob das ansatzweise realistisch ist, bleibt leider abzuwarten.
Diesen Post teilen