Wochenmonument
Wochenmonument
WM008 Instrumentalisierung statt Mitgefühl in Magdeburg (52/2024)
0:00
Aktuelle Uhrzeit: 0:00 / Gesamtzeit: -12:20
-12:20

WM008 Instrumentalisierung statt Mitgefühl in Magdeburg (52/2024)

Über 200 Verletzte, mehrere Tote, darunter mindestens ein Kind. Aber als wäre das Verbrechen nicht schon schrecklich genug, machen diverse Akteure den Anschlag beziehungsweise die Amokfahrt von Magdeburg vom 20. Dezember durch den politisch motivierten Missbrauch nur noch schlimmer.

Die bekannten Fakten sind: Ein aus Saudi-Arabien stammender Mann, der seit fast 20 Jahren im Land ist, hat über Twitter mehrfach nicht nur behauptet, derartige Verbrechen begehen zu wollen, sondern immer wieder auch insbesondere Angela Merkels Migrationspolitik kritisiert. Er hat mit der AFD sympathisierende Äußerungen von sich gegeben und die saudische Regierung warnte deutsche Behörden vor ihm. Wobei man sagen muss, dass er in seinem Heimatland in der Tat verfolgt wird, weshalb er völlig zurecht Asyl in Deutschland genoss. Der Islamismus, der gerade in Saudi-Arabien oberste Staatsdoktrin ist, war sein Thema, darum kreiste seine öffentliche Kritik. “Islamhasser” soll er sich wörtlich online selbst genannt haben. Die den Rahmen des Sachlichen regelmäßig sprengte, wie man so las die letzten Tage. Er soll zudem Behörden, einzelne Politiker und verschiedene Akteure aus den Medien regelrecht bombardiert haben mit Nachrichten und E-Mails. Wirklich ernst genommen wurde all das nicht - auch, weil gerade diese Leute jeden Tag dutzende solcher Nachrichten bekommen und vieles davon ist ähnlich wirr und inhaltlich kaum sinnvoll zu deuten.

Ob sich diese Tat hätte verhindern lassen können, wird noch Gegenstand von Gerichtsverhandlungen sein. Meine Ahnung ist: Eher nicht, weil es dazu viel zu vage war und wollte man jede merkwürdige Äußerung eines Internetspinners so ernst nehmen, wie es nötig wäre, um so etwas zu verhindern, wäre das Ergebnis nicht nur ein krasser Überwachungsstaat, sondern man müsste auch ständig prophylaktisch Unschuldige verhaften. Und ob dass dann wirklich eine solche Tat verhindern würde, ist damit noch lange nicht gesagt, gleichzeitig würde man mit solchen Maßnahmen nur weitere Verrückte dazu motivieren, zu Tätern zu werden. Abgesehen davon, dass das mit einem liberalen Rechtsstaat nur noch wenig zu hätte, wäre - das ist aber reine Meinung, keine Empirie - unter dem Strich viel mehr verloren als gewonnen und eben mutmaßlich nichts verhindert.

So weit so schlecht.

Missbraucht wird diese Tat aber nun wie gesagt von unterschiedlichen Seiten. Deren Ziele sind stark unterschiedlich. Die Gemeinsamkeit ist, dass es schäbig ist, eine solche Tat überhaupt zu instrumentalisieren. Natürlich zieht die eine Instrumentalisierung aber irgendwo auch die nächste direkt nach sich. Aktion und Gegenreaktion. Es folgt nun der Versuch, die unterschiedlichen Instrumentalisierungen chronologisch korrekt wiederzugeben.

Sekunden nach den ersten vagen Meldungen, in denen weder Opferzahlen bekannt waren, noch irgendwelche Angaben zum Täter, begann das gesamte rechte Spektrum bereits loszufeuern. In vorauseilendem Gehorsam unterstellte man einen islamistischen Terroranschlag, weil in einem geschlossen rechten Weltbild gilt: Weihnachtsmarkt plus Fahrzeugattacke gleich islamistischer Terroranschlag. Davon abgesehen ist den Rechtsauslegern natürlich auch egal, ob wahr ist, was sie so von sich geben. Ihr schnelles Urteilen und Handeln ist somit nachvollziehbar und einfach nur traurig konsequent.

Als spätestens einige Stunden später dann Name und Twitteraccount des Täters die Runde gemacht hatten, ergab sich dann doch ein differenziertes Bild. Der Mann klang inhaltlich in vielen seiner Äußerungen genau wie die Leute, die bis hierhin die schnelle Deutungshoheit über die Tat errungen hatten und fast automatisch Islamismus als Motiv angenommen hatten.

Ab jetzt gerieten die Rechten damit nun selbst etwas in die Schusslinie: Man sieht nicht gut aus, wenn man gerade wieder einmal ausgiebigst gegen Ausländer hetzt, während der Täter, den man eigentlich dmait meint, das gleiche Hasszeug von sich gegeben hat in der Vergangenheit. Aus Versehen wirkten sie plötzlich, als würden sie mit dem Täter sympathisieren. Als Reaktion darauf wurden verschiedene Relativierungsversuche unternommen. Es wurde der Begriff Taqiyyah in die Debatte geworfen. Das beschreibt ein Konzept, mit dem muslimisch-gläubige Menschen sich der sie umgebenden Kultur anpassen, um nicht unnötig anzuecken und in Ruhe leben zu können. Es wurde hier eine reichlich extreme Variante davon unterstellt: Der Täter habe sich zum Schein viele Jahre deutlich anti-islamistisch geäußert.

Der offensichtliche Pferdefuß dieser Theorie ist natürlich, dass es wirklich schlecht ist, wenn ein Terrorist sich vor seiner Tat grundlos regelmäßig exponiert und auffällig wird - was in diesem Fall ja so gewesen ist. Aber auch hier gilt: Sachliche Argumente sind der rechten Seite weitgehend egal und es geht im Wesentlichen darum, sich das eigene Weltbild zu bestätigen. Dafür reichte diese Theorie natürlich völlig.

Auch nach fast einer Woche stehen wir jetzt an dem Punkt, dass die nicht gerade kleine Blase an Rechten bis Rechtsextremen natürlich überzeugt davon ist, dass es sich um einen islamistischen Terroranschlag handelte, auch wenn für einen solchen normalerweise ein entsprechendes öffentliches Bekenntnis das zentrale Element ist. Das hier bislang zu fehlen scheint. Selbst der noch in Resten bestehende IS, der in der Vergangenheit sehr schnell auch mal Taten für sich reklamiert hatte, bei denen selbst die Täter das anders sahen, hat diese Tat bisher nicht auf seine Kappe genommen.

Die Gegenseite wird nicht müde, der AFD die Tat irgendwie in die Schuhe zu schieben. Was insofern albern ist, als dass man der Partei selbst die Tat nicht im Ernst vorwerfen kann. Gleichzeitig ist es nachvollziehbar - denn auch das ist im Grunde nur eine Reaktion auf die brutale Instrumentalisierung von wiederum der anderen Seite.

Die konnte man in Form ihres vorläufigen Höhepunktes als Demo mit Kundgebung am 23. Dezember, drei Tage nach dem Anschlag, bewundern. Angemeldet wiederum von niemand anderem als der AFD. Auch dies ein weiterer Versuch der Instrumentalisierung.

Vorläufig letzter Akteur, der diesen Anschlag zu instrumentalisieren versuchte, war, last but not least, die Bundesregierung. Genauer gesagt das Innenministerium, verkörpert durch Nancy Faeser - die es nicht lassen konnte, die üblichen Aufweichungen der Grundrechte zu fordern.

Die Tat wird also von der Bundesregierung instrumentalisiert, um Eingriffe in unsere Grundrechte zu begründen, sie wird von Mitte und links genutzt, um die AFD zu diskreditieren und die AFD instrumentalisiert sie, wie sie sowieso alles instrumentalisiert und greift alle an, die nicht ihrer Meinung sind, dass das Problem sei, dass in Deutschland Ausländer leben.

Alle drei Instrumentalisierungsversuche haben gemeinsam, dass sie pietätlos sind, da man letztendlich gewaltsam aus dem Leben gerissene Menschen als Argument für die eigene politische Agenda nutzt, was für sich genommen immer tendenziell problematisch und je nach Ausprägung regelrecht widerlich ist. Fair ist es natürlich ohnehin nicht aber das war im Wahlkampf ohnehin nicht zu erwarten.

Na klar verlockt es, der AFD die Schuld zu geben. Was man von dem Täter an öffentlichen Verlautbarungen liest, erinnert inhaltlich wirklich hart an den Mist, den nicht wenige AFD-Anhänger den ganzen Tag ins Netz gröhlen. Und dass diese die Tat wirklich keine 60 Sekunden alt werden lassen konnten, ohne sofort wieder ihre “Ausländer-raus”-Karte zu ziehen, bestätigt eigentlich auch nur den Impuls, dagegen zu halten. Ist das deswegen sachlich? Natürlich nicht. Ist es deswegen richtig, unschuldige Tote zu instrumentalisieren? Sicher nicht. Zumal man sich damit eigentlich mit der AFD auf eine Stufe stellt - was man schon wollen muss.

Dass die AFD tut, was sie tut, wäre aus den gleichen Gründen moralisch mindestens fragwürdig - sofern die AFD eine Moral hätte. Bei der massiven Instrumentalisierung inklusive einer Großdemo mit tausenden Teilnehmern drängt sich der Verdacht auf, dass es sich dabei um ein großangelegtes Ablenkungsmanöver handelt. Nach dem Motto: Wenn wir nur intensiv genug mit dem Finger auf unsere politischen Gegner zeigen, wird von unseren Leuten ja keiner mehr auf die Idee kommen, sich die Verlautbarungen des Täters mal genauer anzugucken. Wird von der AFD-Gefolgschaft tatsächlich aber auch schon deswegen keiner tun, weil das möglicherweise ganz schön weh tun könnte, dort das gleiche geschlossen rechtsextreme Weltbild zu entdecken, mit dem etliche in den eigenen Reihen unbeirrbar unterwegs sind.

Der schäbigste Akteur ist und bleibt die Bundesregierung. Keine der von Faeser genannten Forderungen, die übrigens im Bundestag nur bisher nicht mehrheitsfähig waren, weil sie an der FDP gescheitert sind, hätte explizit diesen Anschlag verhindern können. Vor dem Täter wurde reichlich gewarnt. Durch Saudi-Arabien, durch diverse User von sozialen Netzwerken, mit denen der Täter verkehrte, beziehungsweise die er mit seinem Scheiß zumüllte. Im vergangen Mai sollte der Täter gar Faeser selbst bedroht haben, wie die Bildzeitung jetzt meldete - mit dem süffisanten Zusatz “doch die Behörden schauten weg”. Nein, die Behörden schauten nicht weg. Sondern die Behörden haben es jeden Tag mit tausenden derartiger Fälle zu tun und es ist schlicht unmöglich, die alle ständig ernstzunehmen. Das Problem, vor dem die Behörden stehen, ist regelmäßig und nicht nur in diesem Fall, die wenigen Nadeln in den riesigen Heuhaufen zu finden. Faesers aktuelle Forderungen beziehen sich aber restlos darauf, den Bundesbehörden mehr Zugriff auf personenbezogene Daten zu geben. Faeser möchte also den Heuhaufen vergrößern, in dem sich die in diesem Fall zu suchenden Nadeln nachweislich bereits hundertfach befunden haben. Nach allen Regeln der Logik wird das die Suche logischerweise aber nur noch mehr erschweren. Wie bei jedem vergleichbaren Verbrechen der letzten Jahre mangelt es auch hier überhaupt nicht an Hinweisen, denen man hätte nachgehen können, beziehungsweise (rückblickend jedenfalls) müssen.

Das Denkmal dieser Weihnachtswoche widmen wir daher der Instrumentalisierung eines wirklich fürchterlichen Verbrechens. Und hier insbesondere einer ausgesprochen schamlosen Regierung im Wahlkampf, die selbst angesichts dieser Tat lieber Schaufensterpolitik betreibt, als wenigstens die Klappe zu halten.

Alternativ, auch das sei hier der Vollständigkeit halber einmal angemerkt, hätte man schon auch mal die Frage stellen können, warum eigentlich ausgerechnet dieser Weihnachtsmarkt nicht gegen das Einfahren mit einem Fahrzeug abgesichert war, so wie es bundesweit tausende andere Märkte passiert. Es wäre natürlich nicht fair, die Schuld bei den örtlichen Behörden abzuladen - schlussendlich ist schon noch vor allem der Täter Schuld. Aber hier hat es offensichtlich Versäumnisse gegeben. Und vor lauter Wahlkampf und Instrumentalisierung werden diese Versäumnisse erstaunlich konsequent ausgeblendet. Obwohl das der vielleicht einzige realistische Ansatz gewesen wäre, diese Tat tatsächlich noch zu verhindern.

Ist bloß nicht so sexy, zu sagen, dass da vielleicht besser ein Polizeiauto im Weg gestanden hätte oder irgendeine andere Barriere. Damit kann die SPD im Wahlkampf nicht punkten und für die AFD sind jegliche Terroranschläge sowieso nur Wahlkampffutter.

Und so ist es eben wie immer: Im allgemeinen Getöse haben die wenigen sinnvollen Stimmen fürs Erste keine Chance, wahrgenommen zu werden.

Diskussion über diesen Podcast

Wochenmonument
Wochenmonument
Der Woche ein Denkmal setzen.