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WM009 Silvesterirrsinn und fromme Wünsche (01/2025)
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WM009 Silvesterirrsinn und fromme Wünsche (01/2025)

Es gehört zu den festen Ritualen in Deutschland, jedes Jahr vor Silvester über Böllerverbote zu diskutieren. Wie die meisten Rituale eine seltsam sinnlose Übung. Meistens startet die Debatte sowieso zu spät für eine solche Maßnahme, nach Silvester ist sie dann selbst von Verbotsbefürwortern im Prinzip sofort vergessen.

Dabei sind die Argumente ja nicht ganz blöd. Regelmäßig vorgeschoben werden “die Tiere”, die darunter sehr leiden würden. Was sicherlich in einigen Gegenden, vor allem den dichter besiedelten, stimmt. Auch die generelle Umweltbelastung durch den entstehenden Müll, den zwar eigentlich jeder wegräumen muss, dies aber in vielen Fällen nicht tut, kann man zurecht als störend empfinden. Die Belastungen nicht nur durch den Lärm, der natürlich nicht nur Tiere stören muss, sondern auch durch die Emissionen in die Luft, sind ebenfalls gern genannte Probleme, die sich auch nicht wegdiskutieren lassen.

Man kann diese Argumente alle verstehen und teilweise sicherlich auch teilen. Das weitaus größere Problem scheint jedoch das Scheißebaupotenzial der Böllerei zu sein. Wenn bundesweite Medien am Neujahrstag Dinge wie Tote und Verletzte und hunderte Festnahmen in Headlines packen und damit nicht etwa irgendwelche Sprengstoffanschläge im Nahen Osten, sondern die sogenannten Silvesterfeierlichkeiten hierzulande meinen, muss man wohl konstatieren, dass mancherorts einiges aus dem Ruder gelaufen ist.

Ja sicher: Berlin ist auch sonst ein Fall für sich und ein Ort mit einer legendär hohen Idiotendichte. Allein hier soll es fast 400 Festnahmen in der Silvesternacht gegeben haben. Youtube und andere Medien liefern bürgerkriegsähnliche Szenen, dieser sogenannten Feierlichkeiten. In Hamburg hingegen sprengte sich ein 20-jähriger in den Tod, weil er einen gigantisch großen Böller selbst baute. Und von der Hamburger Stadtreinigung hört man dieser Tage, dass etwa 5 Tonnen Silvestermüll mehr an den Hotspots angefallen sei - was allerdings einen Anstieg um etwa ein Drittel entspricht, was jawohl ohne Frage heftig ist.

Aber auch abseits der großen Städte fällt auf, dass immer früher und immer intensiver geballert wird. Immer öfter klingt das, was da so ab rund um Weihnachten knallt, auch auffällig laut nach Importware, die hier so gar nicht verkauft werden darf.

Natürlich gab es all das immer schon. Natürlich haben Jugendliche immer schon Böller selber gebaut und selbstverständlich gab es dabei immer wieder schreckliche Unfälle und auch Tote. Es ist auch kein neues Phänomen, dass ausgerechnet Rettungskräfte an Silvester angegriffen werden. Viel zu frühes Böllern kennt vermutlich fast jeder aus seiner eigenen Kindheit und Jugend, keine Frage.

Aber es war eben trotzdem nie so heftig, wie in diesem und auch schon dem letzten Jahr. Die beiden Jahre davor wurde aus Pandemiegründen tatsächlich mal der Verkauf von Feuerwerk stark eingeschränkt - davor wurde jedoch mit Feuerwerk signifikant weniger Umsatz gemacht, als in den beiden Jahren danach. Gerade so, als hätte die deutsche Böllercommunity da versucht, etwas nachzuholen.

Oder aber es ist einfach die Angst, dass es doch das letzte Mal sein könnte, dass man noch Feuerwerk zünden darf. In vielen Städten gibt es auch bereits lokale Einschränkungen, sodass diese Furcht und eine entsprechende Gegenreaktion nicht völlig irrational sind, auch wenn man sich als halbwegs vernunftbegabter Mensch die Frage stellen muss, ob die entsprechenden Leute eigentlich sonst keine Probleme haben.

Fakt ist, dass zu diesem Silvester Feuerwerk im Wert von 180 Millionen Euro verkauft wurde - und da reden wir sicherlich nur vom legalen Teil des ganzen Wahnsinns. In den Jahren davor lagen die Umsätze zwischen 122 und 137 Millionen, bis zum Silvester vor Corona gab es sogar einen Rückgang. Der Branchenverband erklärte, dass zu diesem Silvester noch einmal 15% mehr Feuerwerk in den Handel ging, als im Vorjahr, das bereits ein historisches Rekordjahr gewesen sei, wo das Zeug aber oft binnen kürzester Zeit ausverkauft war. Es wurde also wirklich viel, viel mehr Feuerwerk erworben in diesem Jahr - und auch in diesem Jahr waren die Läden teilweise ratz fatz ausverkauft.

Ob es der hieraus resultierende reine Overkill an vorhandenem Böllermaterial ist, der dann eben auch zu soviel Missbrauch desselben führt, ist schwer zu sagen, zumindest wäre das aber ein Erklärungsansatz.

Um die 40 Prozent der Deutschen sollen es sein, die bisher ein Verbot von Feuerwerk an Silvester befürworten. Man muss kein Prophet sein, um sich auszurechnen, dass mit dem grassierenden Missbrauch auch diese Totalablehnung zunehmen wird, ja eigentlich zwangsläufig zunehmen muss.

Aber ist ein Verbot nicht vielleicht wirklich die Lösung?

Wie so oft muss man das auch hier ein bisschen differenzierter sehen. Die momentanen Zustände beginnen ein Maß zu erreichen, dass immer eindringlicher nach Lösungen ruft. Dass in Großstädten immer wieder mal ein Punkt überschritten wurde, den man nicht mehr hinzunehmen bereit sein kann seitens der Behörden, ist aber auch nichts völlig Neues.

Und in der Regel haben solche krassen Ausschreitungen andere Gründe als bloß, dass zufällig gerade Silvester ist. Die Leute suchen sich ein Ventil und finden es dann hier eben. Was natürlich keine Straftaten rechtfertigt und eigentlich auch nicht diese in Teilen wirklich aus dem Ruder gelaufene Knallerei allerorten.

Aktion und Reaktion, Gewalt erzeugt eben Gegengewalt, wie man so schön sagt. An was es in unserer Gesellschaft deutlich mangelt, ist ein gewisser Grad an Gelassenheit. Gegenüber Leuten, die an Silvester ihren Spaß mit Böllern haben. Aber auch gegenüber Rettungskräften oder Polizisten, wenn sie aufgrund übertriebenen Feuerwerkseinsatzes und anderer idiotischer Verhaltensweisen schlicht einschreiten müssen, um schlimmeres zu verhindern und die Allgemeinheit zu schützen.

Gelassenheit gegenüber den Mitmenschen, die Tiere haben oder aus anderen Gründen Böllerei nicht einfach nur als ärgerlich sondern eklatante Einschränkung ihres Lebens empfinden, wäre ebenfalls angebracht - man muss ja nicht direkt vor deren Haustür Krieg spielen.

Und so widmen wir dieses Wochenmonument auf unsere Art dem neuen Jahr - und den dringenden Wunsch, dem Grundprinzip leben und leben lassen wieder etwas mehr Bedeutung zukommen zu lassen. Zu diesem Grundprinzip gehört auch die gegenseitige Rücksichtnahme, was gerne vergessen wird. Aber es gehört eben auch dazu, nicht alles verbieten zu wollen, was uns an unseren Zeitgenossen gerade ein wenig nervt. Weniger Extreme, weniger Verbotsdebatten, weniger Scheißegaleinstellung gegenüber unseren Mitmenschen - und das bitte nicht nur in Bezug auf das Silvesterfeuerwerk, sondern generell, das wäre doch etwas, das wir alle uns für das neue Jahr vornehmen könnten.

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