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WM010 Der Turbo für die postfaktische Ära (02/2025)
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WM010 Der Turbo für die postfaktische Ära (02/2025)

Ausgerechnet am Jahrestag des Sturms auf das Capitol, zu dem der demnächst ins Weiße Haus zurückkehrende damalige Präsident Trump erfolgreich aufgerufen hatte und bei dem Menschen starben und Millionenschäden entstanden sind, vom Schaden für die Demokratie ganz zu schweigen, und in dessen Gefolge Meta Trumps Accounts auf Facebook und Instagram deaktiviert hatte, tritt Mark Zuckerberg, Mr. Meta persönlich, vor die Presse und erklärt, künftig auf Factchecking auf seinen Plattformen verzichten zu wollen. Den Job sollen stattdessen - wie bei Twitter seit der Umwandlung in X auch schon - sogenannte Community Notes übernehmen.

Um zu erahnen, was da schon groß schiefgehen könnte, müssen wir kurz erklären, wie solche Community Notes funktionieren. Denn die funktionieren über Meldungen aus der Community. Es bestimmen also die Nutzer, was stimmt und was nicht. Ob die das jemals irgendwie geprüft haben, interessiert allerdings niemanden.

Und dass Millionen von Bots ebenfalls Teil der “Community” sind, weiß jeder, der auf solchen Netzwerken unterwegs ist. Die kommen zwar nicht alle aus China oder Russland. Aber jedenfalls allein von dort mutmaßlich in Millionenstärke.

Demnächst also können russische oder chinesische Bots anstelle von menschlichen Dienstleistern definieren, was “wahr” ist - oder wenigstens dafür gehalten werden sollte. Zuckerberg rollt der Manipulation also regelrecht den roten Teppich aus.

Und selbstverständlich wird das genutzt werden! Die Trollfabriken dieser Welt nutzen Facebook & Co ja auch jetzt schon in ihrem Sinn. Ist das eine Gefahr? Definitiv! Ist das ein so großer Unterschied zur Situation heute? Vermutlich nein.

Denn auf Facebook existiert sowieso längst eine ganze eigene Parallelwelt. Relevant sind Clickbait-Überschriften und seit einiger Zeit sogar Screenshots von vielleicht den ersten zwei Zeilen eines Artikels anstelle kompletter Artikel. Es klickt ja sowieso niemand mehr irgendwas an und liest.

In der Regel hat der Eindruck, der mit solchen Posts erweckt wird, nichts mit dem zu tun, was der Inhalt eigentlich hergäbe, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Sondern es geht nur um Aufmerksamkeit und die Erregung derselben. Dazu ist jedes Mittel Recht und jedes Mittel wird vom Algorithmus mit maximaler Sichtbarkeit belohnt.

Und selbstverständlich steckt dahinter in der Regel eine Agenda. Die kann sein, dass jemand einfach im Tierschutz organisiert ist und darum jeden Tag ein Dutzend Horrorbilder aus irgendeinem Tierheim oder aus der Massentierhaltung postet. Womit er vielleicht bloß seine Bubble spiegelt, die sich die ganze Zeit gegenseitig die immer gleichen Bilder zeigt. Bis die Leute glauben, dass die extremen Ausnahmefälle die Regel sind.

Gleiches gilt für fremdenfeindlich gesinnte Menschen, die jeden Tag dreißig Headlines über vermeintliche Ausländerkriminalität posten. Nicht selten posten sie den gleichen Fall mehrfach am selben Tag, ohne es zu merken - weil ja doch nur die Überschrift zählt. Und auch hier hat die Zielgruppe den Eindruck, jeden Tag würden unglaubliche Verbrechen geschehen und es würde immer schlimmer und so weiter und so fort - man kennt das.

Nicht wenige Leute posten auch selbst heute noch den ganzen Tag Sachen über die Corona-Pandemie, die bei ihnen im Kopf offensichtlich immer noch nicht zu Ende ist. Und das Zeug wird von der Zielgruppe, die haargenau so tickt, lustig weiterverbreitet.

Diese Bubble-Ökosysteme fragen nicht nach dem Wahrheitsgehalt einer Meldung, solange sie ins Schema passt. Sie zweifeln nichts an, sie schämen sich auch nicht, Lügen zu verbreiten, wenn sie das im Nachhinein feststellen. Oder, wenn ihnen das bereits beim Posten klar sein sollte, denn auch das gibt es selbstverständlich. Es ist ihnen nicht nur einfach egal, ob ihr Post die Realität widerspiegelt, sondern sie betrachten das Posten von Unsinn längst als probate Methode, weil die Mission ja eine andere ist, als Tatsachen zu verbreiten und außerdem jedes Mittel rechtfertigt.

Die angeblich unfassbar strenge Zensur auf Facebook, die Mr. Zuckerberg jetzt aus angeblich ethischen Gründen zu beenden gedenkt, bremst diese Effekte so gut wie gar nicht. Es kommt zwar vor, dass vereinzelt mal Dinge wegzensiert werden. Meistens aber erst mit großem zeitlichen Verzug - und den gewünschten Effekt hat der Post dann sowieso längst erzielt. Denn er ist dann ja gesehen worden, er hat ja einen Eindruck hinterlassen und es bleibt ja natürlich immer etwas hängen - selbst wenn sich später herausstellen sollte, dass es einfach nur Quatsch war.

Das ist, wie soziale Medien „funktionieren“. Das ist, wie Leute offensichtlich auch wollen, dass sie funktionieren.

Vielleicht ist daher jeder Versuch, einen solchen Sumpf trockenlegen zu wollen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Jeder Versuch ist aber gleichzeitig auch immer eine Form der Manipulation, zwangsläufig. Kritik an Facebooks aktueller Praxis, Fakten zu checken, hat sich in vielen Fällen als sehr berechtigt erwiesen, gar keine Frage.

Die realexistierende Moderation auf Facebook führt unter anderem dazu, dass man für Asterix-Zitate wie „die Spinnen, die Briten“ wegen Rassismus für einige Tage rausfliegen kann. Ein ursprünglich satirisch gemeinter und auch so gekennzeichneter Beitrag, dass eine Gruppe Hollywood-Größen um Mel Gibson eine „Anti-Woke-Filmfirma“ gegründet hätte, wird seit fast einem Monat in voller Ernsthaftigkeit von einschlägigen Seiten geteilt - aber eben als echte News, als die Realität dargestellt. Und geglaubt! Eine AFD-Landtagsabgeordnete aus Niedersachsen beispielsweise teilte den Post voller Begeisterung - und wir können davon ausgehen, dass etliche ihrer Follower die Meldung ebenfalls bereitwillig für bare Münze nahmen.

Diverse mutmaßlich russische Trollseiten teilen seit Monaten einen seltsamen Artikel, der angeblich den größten Rangierbahnhof der Welt zeigt, der sich demnach irgendwo in Sibirien befinden soll. Garniert ist der Post von mehreren Luftaufnahmen, die sehr eindeutig den Güterbahnhof in Maschen, südlich von Hamburg, zeigen. Der ist in der Tat riesengroß, hat mit Russland aber nichts zu tun. Das wissen Leute wie wir, die einen Steinwurf von Maschen weg wohnen und erkennen das schnell. Der Texaner, Rumäne oder Kongoleser, der den Post ebenfalls zu sehen kriegt (der Post ist in englischer Sprache und offensichtlich an ein internationales Publikum gerichtet) dürfte es deutlich schwerer haben, hier die offensichtliche Lüge zu identifizieren. Und die professionellen Factchecker, die es aktuell noch gibt, kriegen das auch nicht auf die Reihe, offensichtlich.

So sieht jedenfalls das angeblich superkrass moderierte Facebook aus. Es mag schon sein, dass es noch schlimmer geht. Aber man muss sich schon ernsthaft die Frage stellen, ob es für eine Plattform, auf der man lieber erstmal gar nichts glauben sollte, wirklich einen Unterschied macht, ob man immer noch rein gar nichts glauben sollte, nur der Anteil des Schwachsinns noch ein bisschen größer wird. Qualitativ wird aus einem unbrauchbarem Newsportal, als dass Facebook & Co gerne auftreten und als dass sie durchaus auch von den Nutzern empfunden werden, durch komplett fehlende Inhaltskontrolle halt ein immer noch unbrauchbares Newsportal. Who cares?

Okay, natürlich birgt es Gefahren, anstelle von bezahlten Faktencheckern - und seien sie auch noch so schlecht in ihrem Job, beziehungsweise, sei der Job auch noch so unmöglich zu erfüllen - die Community das übernimmt, die noch nicht mal den Anspruch hat, irgendwas faktenbasiert zu prüfen.

Aber vielleicht müssen wir auch einfach als gegeben hinnehmen, dass wir in einer Welt leben, in der man digitalen Inhalten sowieso niemals trauen kann. 3 Milliarden Facebooknutzer und ihr tägliches, in hunderten Millionen Fällen absolut idiotisches und oft genug auch bewusst bösartiges Treiben zu überwachen oder gar professionell zu checken, zu hinterfragen und gegebenenfalls neutral zu beurteilen und im Extremfall zu löschen, hat sich ja längst als unrealistisches Unterfangen erwiesen. Wenn in 1-2 Jahren auch noch der letzte Boomer begriffen hat, wie man mittels KI binnen Sekunden Fake-Videos oder wenigstens täuschend echt wirkende Bilder von Szenen, die sich nie ereignet haben, erzeugt, wird aus der aktuellen Flutwelle des Schwachsinns ein gigantscher Tsunami der Manipulation, der nie aufhört, sondern jeden Tag größer und größer wird.

Den Kampf um die Wahrheit in den sozialen Medien mag man in der Theorie auch heute noch als sehr ehrenhaft empfinden Verloren ist er trotzdem längst und nichts spricht dafür, dass sich das in Zukunft jemals bessern wird.

Jedenfalls nicht mit den heutigen sozialen Medien, die eben einfach enorm große globale Netzwerke sind, in denen sich jeder mit jedem vernetzen kann, in denen aber auch jeder, der ein bisschen was von der Aufmerksamkeitsökonomie der Algorithmen versteht, seine Version der Realität zu sehr geringen Kosten viral gehen lassen kann. Und je absurder diese Version der Realität aussieht, je abgefahrener die präsentierten alternativen Fakten, die nichts mit der echten Welt zu tun haben, dargestellt werden, desto besser funktionieren sie in den sozialen Medien.

Wir widmen das Monument dieser Woche der Erkenntnis, dass die sozialen Medien, wie wir sie noch vor einigen Jahren kannten und vielleicht als etwas im Kern Positives empfunden haben, spätestens seit Zuckerbergs Ankündigung Anfang der Woche als vollständig degeneriert gelten müssen. Ihre zentralen Mechaniken machen seit vielen Jahren Dreckschleudern aus ihnen und immer weniger ihrer Nutzer finden das problematisch. Die, die darin ein Problem sehen, verlassen die jeweiligen Plattformen einfach und vernetzen sich auf deutlich privatere Weise. Der Rest betrachtet es bestenfalls als eine Art Entertainment, zuverlässig mit immer neuem Unsinn versorgt zu werden, rund um die Uhr und Tag für Tag. Schlimmstenfalls merken die Nutzer nicht mal, dass sie jeden Tag manipuliert und als Klickvieh missbraucht werden. Nicht wenigen tut der Konsum sozialer Medien aber auch einfach nicht gut. Psychisch nicht, intellektuell auch nicht.

Es lohnt sich aber trotzdem, sich mal zu fragen, was Zuckerberg bloß dazu trieb, das zwar schlechte, aber immerhin einer gewissen Systematik folgende, professionelle Factchecking zu beenden.

Die Antwort, die er selbst gab, dürfte allerdings Mumpitz sein. Denn zu mehr Meinungsfreiheit wird es kaum führen, den Trollfabriken die Definitionshoheit darüber zu geben, was eine Tatsache und was eine Lüge ist.

Der vordergründigste Effekt dieser Entscheidung ist zweifellos, dass Meta in den Augen des in wenigen Tagen ins Weiße Haus einziehenden Präsidenten Donald Trump ihm gegenüber erstmal gut Wetter macht, nachdem der Konzern zuletzt eben noch dessen Accounts eigenmächtig gelöscht hatte, nachdem er abgewählt worden ist. Als Quasi-Monopolist ist man immer so ein bisschen von Zerschlagung bedroht und der amerikanische Präsident hätte dahingehend durchaus Möglichkeiten. Es macht also rein geschäftlich Sinn, ihm gar nicht erst einen Grund dafür zu geben, irgendeinen Groll gegen die Firma zu hegen. Wir sollten davon ausgehen, dass pure Angst ein Grund dafür ist, warum Zuckerberg sich derart anbiedert, während er noch vor wenigen Jahren die Trumschen Accounts einfach stillgelegt hat. Es wird zumindest nicht schaden.

Aber der wahre Grund könnte auch sehr viel profaner sein. Nämlich der, das die Community ja sowieso da ist und auf Facebook & Co brav wie verrückt rumklickt. Sie verlangt dafür keinen einzigen Cent, sondern generiert sogar viele Millarden an Werbeeinnahmen.

Mehrere tausend Faktenchecker, die das von Berufs wegen tun, wollen hingegen bezahlt werden. Das kostet richtig viel Geld! Selbst wenn Facebook hinterher immer noch voller Lügen ist.

Quellen & Links

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