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WM013 Brandmauer (05/2025)
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WM013 Brandmauer (05/2025)

Disclaimer vorab: Der Redaktionsschluss für diesen Beitrag findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die betreffenden CDU-Anträge im Deutschen Bundestag nicht im endgültigen Wortlaut vorliegen. Das ist für das heutige Thema allerdings auch zweitrangig.

Worum geht es also? Die CDU, verkörpert durch ihren Kanzlerkandidaten Merz, hat angekündigt, Anträge zu stellen, die sich mit dem Thema Migration, genauer: Dem Schließen von Grenzen befassen.

Anlass ist ein fürchterliches Verbrechen eines eigentlich ausreisepflichtigen Arabers. Vor wenigen Wochen hat es bereits ein weiteres Verbrechen eines eigentlich ausreisepflichtigen Ausländers gegeben, was ebenfalls für bundesweite Empörung gesorgt hatte - was auch absolut verständlich ist.

Das Kernproblem der deutschen Asylpolitik ist, dass Menschen, die kein Bleiberecht haben, in der Regel trotzdem im Land bleiben. Das führt den Asylbegriff ein Stück weit ad absurdum, weswegen sich die scheidende Bundesregierung hier seit längerem um Lösungen bemüht hatte, teilweise auch mit Erfolg. Nur sind diese Erfolge winzig im Vergleich zur Anzahl der Ausreisepflichtigen. Der Knackpunkt ist in der Regel, dass die Herkunftsländer diese Leute nicht zurückhaben möchten. Da Deutschland inmitten des Schengen-Raums liegt, reisen allerdings die meisten Asylsuchenden streng genommen aus sicheren Drittstaaten ein, denn als solche kann man sämtliche Nachbarländer Deutschlands unzweifelhaft betrachten.

Die populistische Lösung ist nun, die Grenzen zu schließen und eben niemanden mehr ohne Kontrolle reinzulassen. Das widerspricht dem Schengen-Abkommen und wäre eigentlich nur vorübergehend und anlassbezogen rechtlich sauber. Und wenn wir ehrlich sind, ist es eigentlich mehr Kapitulation als Lösung. Denn die Leute, die hier eigentlich nicht sein sollten, sind ja trotzdem noch hier und hier versagen, so heißt es jedenfalls dieser Tage in etlichen Berichten und Artikeln, vor allem die Bundesländer, die für Abschiebungen zuständig sind.

Merz’ Ansatz ist demnach, dass er sich auf den Standpunkt stellt, dass wenn man die Leute schon nicht los wird, man wenigstens erstmal keine mehr reinlässt. Man kann das als Lösung verkaufen, müsste dann aber erklären, wie man eigentlich das Problem definiert hat. Wenn man das Problem als “zu viele Ausländer im Land” definiert, argumentiert man zwar letztendlich fremdenfeindlich, dafür passt aber die Lösung vage zum Problem.

In Wirklichkeit geht es Merz und anderen vor allem darum, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Zu zeigen, dass man zumindest irgendwas macht und auch zu bisher undenkbaren Lösungen bereit ist. Und ja: Das ist Fischen von Stimmen am sogenannten rechten Rand.

Nur ist dieser “rechte Rand” mittlerweile kein Rand mehr, sondern ein Fünftel der Wählerstimmen. Und das hat auch damit zu tun, dass die Politik sich sehr lange überhaupt nicht um irgendwelche Fragen rund um Migration und Asyl gekümmert hat.

Allen voran übrigens die Union. Die hat zuerst unter Merkel, aber auch schon vorher, ein zeitgemäßes Einwanderungsgesetz regelmäßig verhindert. Deutschland sei kein Einwanderungsland, war die damals gängige und heute grotesk wirkende Parole seit den 1990er Jahren aus den konservativen Parteien. Nur, um dann um 2015 herum in das komplette Gegenteil umzuschwenken, als angesichts eines immensen Zulaufs von Flüchtlingen vor allem aus Syrien eine ernsthafte Kontrolle der Einreise nicht mehr leistbar war und man eigentlich die Grenzen hätte schließen müssen, um einen Einreisewilligen nach dem anderen kontrolliert abfertigen zu können. Auch hier war die CDU federführend, als es darum ging, faktisch die Grenzen unkontrolliert zu öffnen. Zu einem Einwanderungsgesetz indes konnte sich die CDU auch weiterhin nicht durchringen. Was rational spätestens ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu erklären war, denn viele der Leute, die damals die Grenzen passierten, waren anschließend illegal im Land und da wäre es sehr pragmatisch gewesen, diesen Leuten eine faire Perspektive zu bieten - oder eben mit auch wirklich umgesetzten Ausweisungen zu drohen, wenn es mit dem Einwanderungswillen doch nicht so weit her ist.

Die CDU-Vorschläge, wie sie bis Mitte der Woche aus dem Adenauerhaus bekannt geworden sind, sind Populismus. Sie sind nicht darauf gerichtet, irgendein Problem zu lösen, sondern wollen den Wählerwillen beeinflussen. Was irgendwo legitim ist in einem Wahlkampf. Ob es dem Anlass - wir reden hier immerhin von einem ermordeten Kleinkind - gerecht wird, mag jeder unterschiedlich beurteilen.

Das Denkmal der Woche allerdings widmen wir der sogenannten “Brandmauer”. Und damit einem Begriff, den ursprünglich mal die Rechtsextremen erfunden haben sollen. Die nutzen ihn nach wie vor ständig als Kampfbegriff, wenn sie ein Ende der Brandmauer fordern und erklären, dass sie ja gar keine Nazis seien und es darum einer solchen Brandmauer nicht bedürfe. Mittlerweile haben allerdings auch die Sozialdemokraten den Begriff für sich entdeckt und nutzen ihn im Prinzip täglich.

Merz und die CDU übrigens nutzen ihn gar nicht. Was den Vorwurf, den aktuell quasi im Stundentakt irgendein Sozialdemokrat von sich zu geben scheint, seltsam lächerlich erscheinen lässt.

Dieser Vorwurf lautet: Die CDU habe die Brandmauer fallen lassen. Eine Brandmauer, die sie gar nicht errichtet hat. Die CDU betont nach wie vor, dass sie eine Zusammenarbeit mit der AFD ausschlösse. Nicht mehr und nicht weniger ist es, was ja auch die SPD von sich sagt. Anders als die SPD hat die CDU hingegen erst vor wenigen Wochen bewiesen, wie Ernst es ihr mit dieser Nicht-Zusammenarbeit ist. Denn um ihrem Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten von Thüringen zu einer Mehrheit zu verhelfen, ohne auf Stimmen von der Höcke-AFD dort angewiesen zu sein, einigten sie sich allen Ernstes mit dem BSW, dass dann für den CDU-Kandidaten stimmte. Die CDU ist also bereit, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben, so sehr will sie nichts mit der AFD zu schaffen haben - und das selbst im Osten, wo die AFD längst eine etablierte “Altpartei” ist, um die man nicht nur kaum herumkommt in Machtfragen, sondern die in der Bevölkerung bei weitem nicht den Ruf hat, den sie im Westen eben hat.

Die Frage, ob die Brandmauer denn jetzt gefallen sei, muss somit verneint werden. Offensichtlich wird sie schlicht falsch definiert. Die SPD findet, dass zu jener Brandmauer - die, das sei hier noch einmal ausdrücklich wiederholt, ein der CDU von ihren Gegnern angedichtetes Konzept ist - auch gehört, dass man keine Anträge stellen darf, denen die AFD zustimmen könnte.

Das wiederum ist in etwa so scheinheilig, wie es klingt. Man weiß ja vorher gar nicht, wie die AFD abstimmen könnte. Und tatsächlich gab es ja schon öfter echte Querelen, weil irgendwer irgendwas beantragt hat, bei dem die AFD Zustimmung signalisiert hat, was sofort zu massiver Kritik am Antragssteller geführt hat. Zuletzt gab es zum Beispiel derartige Unsicherheiten, als AFD-Abgeordnete im Bundestag andeuteten, bei Scholz’ Vertrauensfrage vergangenen Dezember eventuell für Scholz zu stimmen. Wäre es der AFD gelungen, Scholz’ vorgezogene Neuwahl auf diese Weise zu verzögern, hätte Scholz eigentlich nach SPD-Lesart ebenfalls seine Brandmauer fallen gelassen, aber sowas von.

Es vom Verhalten der AFD abhängig zu machen, was man so zur Abstimmung stellt, ist also schwierig, eigentlich sogar schlicht nicht haltbar. So kann eine Demokratie nicht funktionieren. Und im Endeffekt säße die AFD dann in der Tat mit auf jeder Regierungsbank und könnte nach Belieben torpedieren, was immer sie torpedieren will. Wem soll diese merkwürdige Definition einer Brandmauer etwas nützen? Also: Wem außer der AFD?

Ein solches Verständnis von Politik mag hübsche Symbolik sein und zu anderen Zeiten, als sich jederzeit problemlos Mehrheiten rein unter Demokraten organisieren ließen, konnte man sich so etwas ja auch leisten. Aber wir leben nicht mehr in solchen Zeiten. Die Bürger erwarten - und zwar zurecht - keine Schönwetterpolitik, keine möglichst stimmige Symbolik. Sie erwarten gnadenlosmöglichsten Pragmatismus, wenn es um das Lösen der anstehenden Aufgaben und Probleme geht.

Und ja, man darf durchaus in Frage stellen, ob die Themen Asyl, Einwanderung und Ausländerkriminalität wirklich die Themen sind, die deutschlands drängendstes Problem sind.

Wenn man sich mal etwas abkoppelt von tagesaktuellen Geschehnissen, Headlines und einer erkennbar kochenden Volksseele, wird man sehr schnell erkennen, dass das überhaupt nicht der Fall ist. 2023 gab es 330.000 Anträge auf Asyl. Das sind weniger als halb so viele gewesen, wie es noch 2016 waren. 2024 sank diese Zahl noch einmal um ein knappes Drittel. Und das trotz unverminderter Kriege in der Ukraine, einem Umsturz in Syrien und inzwischen fast ein Jahr andauernder Militäroperationen Israels in Gaza, der Westbank und dem Libanon. Auch die Zahl der Abschiebungen ist unter Kanzler Scholz deutlich gestiegen - auch wenn für deren Umsetzung in erster Linie die Länder zuständig sind. Leicht gestiegen ist die sogenannte Ausländerkriminalität - das sei zugestanden. Und es ist natürlich legitim, dies als Problem zu adressieren. Nur rechtfertigt der wirklich dezente Anstieg ja nicht, dass das Thema Migration zum einzig relevanten Thema eines Bundestagswahlkampfes wird. Trotzdem scheint es, als seien wir auf dem besten Weg dorthin.

Die Größe des Themas ist rational nicht erklärbar, sondern liegt eindeutig in den beiden genannten Verbrechen der letzten Wochen begründet. Das ist einerseits verständlich, andererseits aber problematisch. Dieses Land hat eigentlich ganz andere Baustellen. Was gar nicht heißt, dass man den Gesamtkomplex Einwanderung endlich einmal ernsthaft angehen sollte - das ist eigentlich seit Jahrzehnten überfällig.

Aber das, was Merz aktuell abzieht - sehr wahrscheinlich im Verbund mit der FDP, die bereits Zustimmung signalisiert hat - ist als populistisches Manöver irgendwo die logische Antwort, auf ein populistisch überhöhtes Problem. Das Theater, dass die SPD aufführt, weil es sein könnte, dass sich mit CDU, FDP und AFD tatsächlich eine beschlussfähige Mehrheit im Deutschen Bundestag findet, der die CDU-Anträge beschließt, ist erstens übertrieben und zweitens heuchlerisch.

Übertrieben, weil die CDU die Stimmen der AFD ausdrücklich nicht bestellt hat, sondern die AFD in den Anträgen sogar erwähnt und attackiert.

Heuchlerisch, weil es ja die SPD war, die die FDP vorzeitig aus der Regierung warf und so diese Situation einer Regierung ohne Mehrheit selbst schuf.

Außerdem wäre der pragmatische Ausweg ja sehr einfach: Die SPD könnte nämlich theoretisch ebenfalls einfach zustimmen.

Wäre nicht zufällig Wahlkampf, könnte sie das sogar auch praktisch tun.

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