16 Bundesländer und jedes davon hat ungefähr ein Dutzend eigener Ministerien. Selbst Politnerds stellen gelegentlich erstaunt fest, wen sie so alles noch gar nicht kannten.
Einen solchen Moment gab es in der vergangenen Woche, als Joe Chialo aus Versehen plötzlich bundesweite Bekanntheit erlangte. Eigentlich ist er Kultursenator aus Berlin, nach allem, was man so liest, aber durchaus einer der interessanteren Köpfe im Politikzirkus.
Denn er ist ehrlicher Quereinsteiger, erst vor knapp 10 Jahren mit Mitte 40 in die CDU eingetreten und davor erfolgreicher Unternehmer als Gründer der Plattenfirma von Santiano, der Kelly Family und Ben Zucker gewesen. Das weicht erfrischend von den üblichen Karrieren bekannterer Politiker ab. In dem Alter, in dem Chialo begann, sich politisch zu engagieren, hatte Olaf Scholz zum Beispiel bereits fast 3 Jahrzehnte des Engagements hinter sich und war als Generalsekretär der SPD in der Chefetage der Demokratie längst eine feste Größe. So unterschiedlich können die Lebensläufe von Politikern sein.
Chialo hat tansanische Wurzeln und kam mit neun Jahren nach Deutschland, schloss zunächst die Schule und dann eine Lehre zum CNC-Fräser ab, studierte anschließend ohne Abschluss, um sich dann der Musik zu widmen. Als Sänger nicht sonderlich erfolgreich - aber als Manager von Plattenlabels lief es dann es bestens.
Politische Karriere macht er eigentlich erst seit 2021, als er - erfolglos - für den Deutschen Bundestag kandidierte. In der Folge wurde er allerdings in den Parteivorstand gewählt und 2023 dann schließlich in Berlin zum Kultursenator ernannt.
In dieser Funktion erlebte er im Oktober 2023 das Hamas-Massaker und die völlig ausbleibende Reaktion der Kulturszene. Was ihn dazu brachte, eine Antisemitismusklausel bei der Vergabe von Kulturförderung einzuführen. Womit er sich, wir können es uns denken, nicht nur Freunde machte.
Bis diese Woche waren die Kontroversen um diese Klausel das einzige, mit dem Chialo einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hatte - wenn auch nur innerhalb Berlins. Jetzt kennt ihn die ganze Republik - und zwar, weil der Bundeskanzler ihn einen „Hofnarren“ genannt haben soll.
Beziehungsweise genannt hat, denn Scholz’ Sprecherin hat den Wortlaut bestätigt. Scholz soll den Kultursenator auch als „Feigenblatt“ bezeichnet haben. Gemeint hat er damit offensichtlich, dass jemand wie Chialo seiner Meinung nach überhaupt nicht in die CDU gehöre. Der Focus, dessen Chefredakteur daneben gestanden haben soll, als das ganze passierte, nennt das eine rassistische Äußerung. Und das ist, was auch hängen geblieben ist.
Scholz selbst sagt dazu, dass die Bezeichnung Hofnarr nicht rassistisch konnotiert sei und er das auch nie rassistisch gemeint habe. Das dürfen wir ihm glauben. Wie man es dreht und wendet: „Hofnarr“ ist keine rassistische Beleidigung. Aber eine Beleidigung ist es schon.
Und rassistisch hat sich der Kanzler damit natürlich sehr wohl geäußert. Nicht der konkreten Worte wegen, die er genutzt hat. Sondern aufgrund ihres Inhaltes.
Jede Partei habe ihre Hofnarren, soll der Kanzler mit Blick auf Chialo gesagt haben. Das kann man so verstehen, dass es für ihn einer Hofnarrentätigkeit gleichkommt, wenn jemand mit Migrationshintergrund, noch dazu jemand mit schwarzer Hautfarbe, politische Karriere bei der CDU macht und die CDU ihn somit als „Feigenblatt“ betrachten würde.
Wenn Scholz das also wirklich so gesagt haben sollte, dann hätte er den Mann aufgrund seiner familiären Abstammung eindeutig rassistisch beleidigt.
Aber auch, wenn er es nicht so gesagt haben sollte, ist das hier Scholz’ Laschet-Moment. Denn was war das noch mal bei Herrn Laschet los?
Zeitsprung ins Jahr 2021. Heiße Phase des Bundestagswahlkampfes. Im Ahrtal sterben 180 Menschen durch eine Flutkatastrophe. Armin Laschet als Kanzlerkandidat der Union und Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen reist hin, der Bundespräsident hält eine Rede - und irgendwo dahinter steht Armin Laschet. Zu seinem Schaden in Reichweite eines Supertele-Objektivs, als er mit irgendwem neben ihm ein bisschen rumfeixt und erkennbar lacht. Lachen bei einer Trauerfeier, das gehört sich nicht. Da sind sich damals alle SPD-nahen Medien einig - aber auch alle anderen. Weil Laschet als Merkelianer gilt und er daher auch rechts nicht allzu viele Fans hat, kocht die Sache natürlich hoch.
Im Grunde war damals jedem klar, dass Laschet hier nicht über die Opfer gelacht hat oder sich über die Katastrophe lustig machte. Es sah trotzdem einfach nicht gut aus. Dass er nicht damit rechnen konnte, dass ihn grade überhaupt jemand sieht, noch dazu mit hervorragendem Equipment ausgestattete Pressefotografen, entschuldigt an der Stelle so richtig auch nichts. Die Wahl hat er nicht nur wegen dieses Vorfalls verloren, aber dieser Vorfall ist, was in den Köpfen geblieben ist und er war wahrscheinlich der krasseste Fehltritt. In einem Wahlkampf, den die Union relativ leicht für sich hätte entscheiden können und der ihr theoretisch tatsächlich eine weitere Kanzlerschaft hätte bringen können - hätte die CSU nach der Wahl ihren Kandidaten nicht selbst verunmöglicht, weil sie ihn schlicht nicht mehr wollte.
So sah der schwache Moment von Herrn Laschet 2021 aus und die hat ihn maßgeblich um die Kanzlerschaft gebracht. Objektiv gesehen ist, was Scholz sich diese Woche geleistet hat - beziehungsweise, was diese Woche erst bekannt wurde, denn der Vorfall liegt wohl schon zwei Wochen zurück - auf allen denkbaren Ebenen schlimmer. Und obendrein auch relevanter für die Frage, ob man so jemanden im Amt des Bundeskanzlers möchte. Gegen einen Kanzler, der im Grunde ein fröhlicher Mensch ist und daher in der trügerischen Annahme, dass es ja keiner mitkriegt, bei einem eigentlich sehr traurigen Anlass kurz mal gelacht hat, lässt sich bis auf eben diese leichte Taktlosigkeit kein echter Vorwurf ableiten.
Ein Bundeskanzler, der der CDU, die, ob einem das nun gefällt oder nicht, die mit Abstand größte und wichtigste demokratische Partei des Landes ist, offen für ein Sammelbecken von Rassisten hält und meint, dass bloß, weil jemand etwas dunklere Hautfarbe als der Durchschnittssozi hat, derjenige nichts in einer konservativen Partei verloren hätte, sondern von dieser als Feigenblatt missbraucht wird, wirkt hingegen wirklich nicht wie die ideale Besetzung für dieses Amt.
Der Unterschied zum lachenden Laschet besteht natürlich darin, dass die Wahl für Scholz im Grunde auch vorher schon nicht zu gewinnen war und er sich damit eben nicht den Sieg vermasselt hat.
Wohl aber eine Niederlage in Würde.
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