Wahlversprechen haben generell keinen besonders guten Ruf. Es ist auch klar, warum. Normalerweise dienen sie nunmal einfach nur dazu, Stimmen zu gewinnen. Das hat immer etwas von demokratischer Korruption und von Egoismus. Da, wo ich nach der Wahl am meisten profitiere, da mach ich mein Kreuz. Was juckt mich schon das Gemeinwohl, was interessieren mich Prinzipien?
Mit Wahlversprechen werden Stimmen erkauft. Und das ist natürlich immer ein bisschen shady. Darf es auch sein - trotzdem ist das unter dem Strich einfach nur wie Demokratie funktioniert. Genau genommen: wie Demokratie funktionieren sollte.
Denn nicht selten läuft es so ja eben gerade nicht, sondern dann werden zwar reichlich Dinge versprochen, dann aber kurz nach dem Wahlsieg irgendwie wieder vergessen. Als Klassiker sei nur an Guido Westerwelle am Tag nach der Bundestagswahl 2009 erinnert. Bis zum Tag davor hämmerte er sein Steuersenkungsmantra jedem Wähler und auch allen anderen ein, bis es selbst seine größten Fans nur noch nervte. Am Tag nach der Wahl bat ihn ein Journalist, das Einfacher-Niedriger-Gerechter-Versprechen noch einmal zu wiederholen, was er verweigerte. Spätestens vier Jahre später wussten wir auch alle, warum: Weil er bereits zu diesem Zeitpunkt wusste, dass er keine Steuerreform bekommen würde, denn die Union hatte ihm offenbar noch in der Wahlnacht zu verstehen gegeben, dass das nichts werden würde.
Vier Jahre vorher hatte die SPD eine massive Kampagne gegen Angela Merkel gefahren, die angekündigt hatte, die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte erhöhen zu wollen. “Merkelsteuer, das wird teuer!” witzelten in diesem Wahljahr die roten Plakate. Die Sozis verteilten Postkarten, auf denen sie vorrechneten, welche Alltagsprodukte wie viel teurer werden würden, wenn die CDU die Wahl gewinnen würde. Das eine Partei überhaupt mit dem “Versprechen”, Steuern zu erhöhen, in einen Wahlkampf geht, hat ja durchaus Seltenheitswert. Dass sie die Wahl dann trotzdem damit gewann, ist entsprechend bemerkenswert. Ihr Wahlversprechen der Steuererhöhung brach die CDU bekanntlich - und die SPD brach ihres ebenso, diese Steuererhöhung zu verhindern. Denn am Ende regierten beide gemeinsam und statt der zwei Prozentpunkte, die die CDU angekündigt hatte und den null Prozentpunkten, die die SPD als die einzig soziale Lösung den ganzen Sommer lang vor sich hergetragen hatte, einigten beide sich auf den interessanten Kompromiss, die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte zu erhöhen.
Der 2005er Doppelbruch zweier Wahlversprechen ist bis heute beispiellos geblieben. Es sieht allerdings danach aus, als würden wir schon sehr bald Zeugen eines ähnlich epochalen Wortbruchs werden. Auch in diesem Fall sind die Hauptverantwortlichen bei CDU und SPD zu finden. Wobei eigentlich nur die CDU der Akteur ist, der hier einen Wortbruch begeht.
Denn während die SPD noch nie so getan hat, als könnte sie verantwortungsvoll mit dem Geld unserer Enkel umgehen, war die Einhaltung der Schuldenbremse (und damit des Grundgesetzes) und der Einsatz für solide Finanzen zentraler Bestandteil der Wahlkampagne der CDU. Sie nahm damit der FDP mutmaßlich die letzten paar Stimmen ab, die die FDP in die außerparlamentarische Bedeutungslosigkeit beförderten und wir müssen davon ausgehen, dass ihre Wähler der CDU dieses Versprechen tatsächlich geglaubt haben.
In dieser Woche nun wurden erste Details aus den ansonsten sehr geräuschlos verlaufenden Koalitionsverhandlungen bekannt. Genauer gesagt ist von einem geplanten Sondervermögen die Rede, das mit 500 Milliarden Euro sämtliche Wummse der Scholz-Jahre aussehen lässt, wie ein Papierschiffchen während eines Orkans - nämlich unbedeutend, um nicht zu sagen, albern klein.
Frei nach dem Motto „ist der Ruf erst ruiniert“ wird auch eine Lockerung der Schuldenbremse angestrebt. Finanzpolitisch werden also alle Schleusen geöffnet - und eben die zentralen Wahlversprechen gebrochen, noch bevor die Regierung überhaupt antritt. Denn die Grundlage dieser Politik soll allen Ernstes noch der bisherige Bundestag beschließen. Wir erinnern uns: Das ist jener Bundestag, der nach CDU-Auffassung aufgrund seiner Mehrheiten echt viel falsch gemacht hat und daher dringend vorzeitig neu gewählt werden musste.
Wem angesichts dieser finanzpolitischen 180°-Wende der CDU schon ganz schwindelig ist, dem wollen wir dennoch schnell in Erinnerung rufen, dass es ehrlicherweise schon so eine Art christdemokratische Tradition ist, die eigene Programmatik nach Wahlen zu ignorieren. Es vergeht ja eigentlich auch kaum ein Wahlkampf, in dem die CDU nicht behauptet, nach der Wahl Steuern senken zu wollen - nur, um das dann eben nach der Wahl wieder zu vergessen. Wo den anderen Parteien die Verarschung der eigenen Wähler vielleicht noch ein bisschen peinlich ist, ist so etwas für die Union praktisch öde Routine.
Das enorme Volumen der Wählertäuschung hingegen stellt eigentlich alles weit in den Schatten, was es jemals in dieser zweifelhaften politischen Disziplin gegeben hat und muss selbst für CDU-Verhältnisse als einigermaßen abenteuerlustig begriffen werden.
Oh, ja sicher: Die Begründungen für all das klingen selbstverständlich total vernünftig und nachvollziehbar. Ja klar wird mit der geopolitischen Situation argumentiert - in Teilen auch tatsächlich zurecht. Wir benötigen eine massive Aufrüstung und falls das wirklich ein ernstgemeintes Ziel der neuen Regierung sein sollte, ist das absolut zu begrüßen.
Allerdings ist der größte Teil der Schuldenorgie gar nicht für militärische Aufrüstung und Hilfen für die Ukraine vorgesehen. Sondern der soll dafür sorgen, dass unsere Brücken, Straßen und Tunnel und sonstige Infrastruktur für die nächsten hundert Jahre saniert werden, statt weiterhin reihenweise ersatzlos wegen Einsturzgefahren gesperrt zu werden oder direkt in sich zusammenzufallen, wie vor wenigen Wochen in Dresden.
Und selbstverständlich ist es ein legitimes politisches Ziel, die Infrastruktur vor dem endgültigen Verfall retten zu wollen. Allerdings haben beide Parteien der künftigen Regierung dieses Land regiert, seit es in Form der Bundesrepublik besteht. Sie haben sämtliche Bundeskanzler gestellt, hatten durchgängig die sogenannte Richtlinienkompetenz. Der Verfall unserer Infrastruktur ist kein neues Phänomen, sondern etwas, auf das seit mindestens 20 Jahren alle Experten hinweisen. Nur, um genauso lange von den Verantwortlichen aus Union und SPD ignoriert zu werden.
Es ist ja im Kern bei aller Kritik an einer nur noch als “irre” zu bezeichnenden Finanzpolitik durchaus begrüßenswert, falls das jetzt wirklich aufhören sollte. Der Wehrmutstropfen ist allerdings, dass exakt diese Aufgaben normalerweise das sind, wofür es überhaupt einen Haushalt gibt, über den das Parlament verfügen darf. Eine gewisse staatliche Infrastruktur, Straßen, Schienen, Wasserwege und so weiter, ist abgesehen von der Sicherstellung der inneren und äußeren Sicherheit der zentrale Grund, der überhaupt die Existenz eines Staates und dessen horrenden Bedarf an Steuern rechtfertigt.
Und wie auch bei der Sicherheit hat der Staat bei der Infrastruktur eben komplett versagt. Über Jahrzehnte.
Was natürlich nicht die Schuld allein von CDU und SPD ist. Sondern hier haben alle Parteien, die jemals regiert haben, sich nur allzu gerne einen superschlanken Fuß gemacht. Wenn auch stets unter Federführung jener beiden Parteien.
Diesem Plottwist jedenfalls, der jetzt zwar in der Sache nicht komplett überraschend kommt, wohl aber in seinem Ausmaß, widmen wir unser Denkmal der Woche. Und fügen die Bitte um Vergebung an unsere Kinder und Kindeskinder an, die noch in Jahrzehnten für die Merz’sche Schuldenorgie blechen dürfen werden.
Wen das alles immer noch nicht bedenklich gestimmt hat, dem möchten wir bei der Gelegenheit in Erinnerung rufen, dass der Staat übrigens schon mit dem Geld, dass er in Wirklichkeit zur Verfügung hat, in der Regel ausgesprochen schlecht umgehen kann. Als wie effizient wird er sich wohl erst erweisen, wenn er so richtig aus dem Vollen schöpfen kann, weil unsere Volksvertreter ihm erlauben, Kredite aufzunehmen, die die Höhe der Ausgaben sämtlicher bisheriger Bundeshaushalte übersteigen?
Ja, aber was wäre denn die Alternative, könnte man an der Stelle fragen. Und die Antwort wäre recht einfach: Eine haushalterisch verantwortungsbewusste Politik, die beherzigt, was zum Beispiel im Wahlprogramm der CDU im Kapitel „Zukunftsversprechen“ steht: “Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen.” Der Bundeshaushalt ist nämlich durchaus gigantisch groß. Groß genug für eine funktionierende Bundeswehr und für Brücken, die nicht zusammenfallen. Man könnte all das ohne hunderte Milliarden sogenannter Sondervermögen und unter Einhaltung der geltenden Verfassung hinbekommen. Müsste man aber wollen. Sprich: Man müsste tun, was jeder von uns finanziell ständig tun muss: Prioritäten setzen.
Das allerdings wäre nicht nur echt anstrengend und für uns als Beobachter des Polit-Zirkus ganz schön langweilig. Sondern es ist wahrscheinlich auch überhaupt nicht nötig. Weil die Wähler der CDU Kummer gewohnt sind und die Wähler der SPD Schulden vermutlich ohnehin nicht für etwas halten, dass man vermeiden sollte.
Was uns zu guter Letzt wieder zurück zum Thema Wahlversprechen führt und warum sie so unbeliebt sind. Und wir müssen feststellen, dass sie so unbeliebt sind, weil sie nicht nur den Parteien egal sind, sondern in Wahrheit auch den Wählern.
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