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WM020 Die egoistische Repubik (12/2025)
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WM020 Die egoistische Repubik (12/2025)

Die egoistische Republik

Es wird gelegentlich - und auch jetzt wieder - für höhere Löhne demonstriert beziehungsweise gestreikt. Oder auch gegen Abbau von Subventionen. Das Beispiel aus jüngerer Zeit heißt Agrardiesel. Durchaus legitime Dinge also - aber ehrlicherweise trotzdem Dinge, bei denen es erkennbar nicht um das Gemeinwohl geht, sondern um die individuellen Interessen der Nutznießer.

Auch bei der Bundestagswahl wurde, so jedenfalls kann man es interpretieren, nach der Prämisse des eigenen Vorteils gewählt. Was die beste Wahl für nachkommende Generationen sein könnte, war jedenfalls nicht der Leitgedanke der meisten Wähler. Wenn man das nicht aus den Programmen der Gewinner der Wahl ablesen möchte, kann man hierzu schauen, wie krass sich die Wahl der Jüngeren von den Präferenzen der Älteren unterscheiden - was übrigens auch nichts Neues, sondern regelmäßig zu beobachten ist.

Wogegen auffälligerweise nicht demonstriert wird, sind die Schuldenpakete der sich in Kürze bildenden neuen Regierung. Die werden lustigerweise inzwischen auch wirklich nur noch Schulden genannt in den Medien. Von “Sondervermögen” schreibt niemand mehr. Das war vor wenigen Wochen noch anders und muss eine Folge der enormen Summe sein. Immerhin sehen wir hier eine Tendenz zur Ehrlichkeit.

Aber diese Sache mit dem Egoismus: War das eigentlich schon immer so? Waren wir immer schon so egoistisch? Und hierzu müssen wir wohl oder übel feststellen: Jawohl, sehr wahrscheinlich war das schon immer so. In dieser Woche hat sich dieses Phänomen dennoch deutlicher gezeigt als sonst.

Denn statt nach Jahrzehnten eines vermeintlich niemals enden wollenden Füllhorns an großen und kleinen Wohltaten, die mittlerweile eine Billion Euro Steuergeld im Jahr kosten, aber offensichtlich trotzdem nicht mal für das Allernötigste, wie ein funktionierendes Militär oder benutzbare Straßen, reichen wollen, die öffentlichen Haushalte endlich so umzubauen, dass Wichtiges wieder wichtig wird, wird mit Taschenspielertricks eine in der Bundesrepublik historisch beispiellose Schuldenpolitik durchgedrückt. Die Ursache muss sein, dass die wichtigen Dinge für die Allgemeinheit einfach keine Priorität haben gegenüber den liebgewonnenen Bequemlichkeiten, an denen zu sparen sich die aktuelle Bundespolitik schlicht nicht traut.

Und das ist nachvollziehbar. Denn zum Beispiel die Höhe des Kindergeldes sieht ja jeder Wähler jeden Monat schwarz auf weiß auf seinem Konto. Ob aber Deutschland sich bei einem Überfall durch einen Schurkenstaat aus dem Osten aktuell verteidigen könnte, spielt im alltäglichen Leben der meisten Leute glücklicherweise keine echte Rolle und würde es das, ließe sich diese Frage trotzdem nicht einfach beurteilen. Man muss es zwar als sehr kurzsichtigen Blick auf die Welt kritisieren. Aber dass die sogenannten einfachen Leute ihre Priorität vor diesem Hintergrund eher im eigenen Kontostand als der Landesverteidigung sehen, ist letztlich leider verständlich.

Es ist also auch nicht einfach nur schon aus Egoismus naheliegend, in solchen Fragen egoistisch zu sein. Es ist auch ungleich schwerer, das Gemeinwohl im Blick zu haben, weil es so viel schwerer objektiv zu beurteilen ist. Schon aus diesem Grund möchten wir hier auch niemandem seinen Egoismus vorwerfen. Zumal der etwas zutiefst Menschliches, etwas völlig Normales und Natürliches ist.

Bemerkenswert sind allerdings die Kollateralschäden dieses Egoismus. Höhere Zinslasten für nachkommende Generationen sind in diesen Tagen der offensichtlichste Nachteil der Berliner Schuldenparty, wie sie die inzwischen immer öfter “Dispo-Koalition” getauften nächsten Regierung gerade feiert.

Der krasse Schaden für die Demokratie übrigens, der durch das unwürdige Geschacher, den eigentlich demokratisch schon vor einem Monat abgewählten Bundestag noch schnell das Grundgesetz ändern zu lassen und dieser Schuldenorgie zuzustimmen ist hier zwar nur Beiwerk. Doch auch hier werden wir erst in Zukunft sehen, wie groß er wirklich war. Die politischen Ränder nutzen diesen Aspekt bereits jetzt als Musterbeispiel für die Verlogenheit der Demokratie. Es fällt schwer, dem sachlich zu widersprechen, weil es in der Tat mehr als fragwürdig ist, einen aufgelösten Bundestag zu missbrauchen, um dem nächsten Bundestag einen finanziellen Freibrief auszustellen. Das Beste, was sich darüber sagen ließe, ist, dass es ja legal ist. Und auch wenn der größte Teil des Volkes es nicht - oder noch nicht - so empfinden mag: Ein mehr als frecher Stinkefinger gegenüber dem Wähler ist diese Trickserei ganz objektiv gesehen dennoch. Ob sich unsere Demokratie solche Methoden in der aktuellen Situation wirklich leisten kann, bleibt abzuwarten.

Das Faire an dieser ganzen Angelegenheit ist, dass die Kritik im Wesentlichen zulasten der CDU geht. SPD und Grüne hatten sowieso nie einen Zweifel an ihrer Lust an der Verschuldung gelassen, die CDU hingegen das genaue Gegenteil noch vor wenigen Wochen im Wahlkampf versprochen. Sieht man sich die Umfragen an, stellt man fest, dass die CDU trotzdem kaum etwas verliert. Auch hier zahlt sich Egoismus kurzfristig also aus.

Und wie eine den egoistischen Zeitgeist besonders untermauernde Randnotiz wurde in der ablaufenden Woche bekannt, dass Annalena Baerbock einen neuen Job in der UNO haben möchte. Was nicht weiter dramatisch wäre. Sie nimmt diesen allerdings einer verdienten und sich seit Monaten bestens auf eben jenen Job vorbereiteten Spitzendiplomatin weg. Und diese bereitete sich deswegen auf diesen Job vor, weil ihr Arbeitgeber - unter dem Vorsitz von Annalena Baerbock - ihr diesen in Aussicht gestellt hatte. Das ist nicht mehr nur egoistisch, das ist bösartig. Und selbst in der Politik eher ein Extrembeispiel für egoistische Rücksichtslosigkeit.

Wir widmen das Denkmal der Woche also dem grassierenden Egoismus. Aber ist der wirklich das Problem, wenn er doch, Ausreißer wie der von Baerbock hin oder her, völlig normales menschliches Verhalten ist?

Nein, ist er tatsächlich nicht. Egoismus ist erstmal okay. Schon, weil es eine Größe ist, mit der man rechnen kann und auch muss. Shady wird es, wenn man anfängt, ihn politisch zu instrumentalisieren. Etwa um Wahlen zu gewinnen. Um Ängste zu schüren. Um Stimmung zu machen.

Egoismus muss kein Problem sein. Die Voraussetzung dafür wäre, dass man ihn reflektiert und bewusst lebt. Was also das Problem ist, ist, dass eine solche Reflektion und ein eigenverantwortliches, ethisches Hinterfragen egoistischer Entscheidungen, überhaupt nicht mehr geschieht.

Denn wenn wir uns die Schuldenpolitik, die am Freitag dieser Woche mutmaßlich den Bundesrat passieren wird, genauer ansehen, dann ist das, was hier geschieht, im Kern Folgendes:

Die Generation Boomer, die ihr Leben lang nichts anderes kannte, als dass alles besser, größer, komfortabler wird, findet es für sich nicht zumutbar, dass sich jedenfalls an dieser gefühlten Variante der Realität jemals etwas ändert. Da die äußeren Umstände aber wirklich komplett andere sind, springt die Politik nun in die Bresche - und launcht eine Art Simulation der vermeintlich heilen Weiterso-Welt. Damit das funktioniert, sind diese Schulden nötig. Ohne die müsste man nämlich erstmals seit Jahrzehnten Prioritäten setzen. Was bedeutet hätte, den Boomern die Lebensumstände hier und da zu verschlechtern. Oder konkret ausgedrückt: Ihnen spürbar ihren auf Kosten der Allgemeinheit umverteilten Wohlstand punktuell etwas zu nehmen. Dazu fehlt der Politik unter Führung von Boomerkanzler Merz, der im Wesentlichen von seinen Mitboomerinnen und Mitboomern gewählt wurde, schlicht der Mut.

Den Boomern wiederum fehlt nicht nur jede Einsicht der Notwendigkeit, denn schließlich kennen sie eine derartige Situation nicht und reden sich ein, dass es ja auch früher schon immer anders ging. Sondern sie ignorieren gleichzeitig auch sehr gekonnt, was sie ihren Kindern damit aufbürden.

Die Aufgabe der Politik, so sie denn ihrer Verantwortung gerecht würde, wäre es, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen.

Eben das tut sie aber nicht, sondern wählt den Weg des geringsten Widerstandes - und für den werden aller Voraussicht nach noch die Enkel heutiger Kinder zahlen - in der einen oder anderen Weise.

Richtig perfide wird es, wenn die Politik zur Verschleierung des Egoismus allen Ernstes behauptet, man bräuchte die Schulden, um künftig genügend Kitaplätze haben zu können - als wäre das grade Deutschlands relevante Baustelle, die einen dringenden Feuerwehreinsatz mit einem Whateverittakes rechtfertigen würde.

Und in solchen Fällen ist Egoismus dann eben doch das Problem. Man könnte ihn in dieser Konstellation aber auch etwas drastischer einfach asozial nennen.


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