Das LePen-Urteil
Vier Jahre Haft und 100.000 Euro Geldstrafe, so lautet das Strafmaß für Marine LePen, der bisher dreimaligen Präsidentschaftskdandidatin der französischen rechtsradikalen Partei RN, die auf dem besten Wege war, bei der Wahl 2027 ein weiteres Mal anzutreten.
Bei den bisherigen Wahlen wurde sie jedes Mal erfolgreicher, bei der letzten Stichwahl holte sie dann immerhin 42 Prozent. Für 2027 prophezeiten nicht wenige Demoskopen bereits ihren möglichen Sieg.
Daraus wird jetzt nichts mehr, denn Teil der Strafe ist auch ein Entzug des Wahlrechts. Sie darf also nicht zur nächsten Präsidentschaftswahl antreten.
Ihr Vergehen ist Veruntreuung. Sie soll 4,5 Millionen Euro, die ihr das Europäische Parlament für parlamentarische Assistenten gezahlt hat, für Mitarbeiter ausgegeben haben, die stattdessen im Prinzip nur Parteiarbeit verrichtet haben.
So etwas wäre auch in Deutschland nicht erlaubt, auch in Deutschland dürfen Mitarbeiter der Fraktionen des Bundestages oder anderer Parlamente nicht für die Partei arbeiten. Gleiches gilt für öffentlich bezahlte Mitarbeiter der Abgeordneten selbst.
LePen ist in Frankreich nicht die einzige, die dieses Verbot missachtet hat und auch in Deutschland kommt das nicht nur immer wieder vor, sondern es ist schlechterdings kaum zu verhindern. Die Mitarbeiter von Fraktionen oder Abgeordneten sind in aller Regel selber Mitglied der gleichen Partei, häufig dort auch aktiv, also ehrenamtlich engagiert.
Es gibt haufenweise Synergien zwischen der Tätigkeit für die Partei und dem Job. Die Themen überschneiden sich naturgemäß permanent. Wahlkreismitarbeiter, die sich häufig auch noch eine Bürogemeinschaft mit Ehrenamtlern vor Ort teilen, werden in der Praxis kaum umhinkommen, auch immer wieder für die Partei Dinge zu tun, in der sie sich engagieren und ob dafür immer formgerecht ausgestempelt oder anders festgehalten wird, wie die Arbeitszeit gerade eingesetzt wird, ist von außen kaum zu erkennen und sinnvoll zu beurteilen.
Und Recht und Unrecht hin oder her: Ob es sinnvoll wäre, da wirklich immer so genau hinzuschauen, wenn das denn möglich wäre, könnte man durchaus kontrovers diskutieren. Denn die Ursache dieser Verquickung ist im Regelfall nicht mangelndes Unrechtsbewusstsein, sondern schiere Notwendigkeit.
Ehrenamtliche Kapazitäten sind begrenzt und würde sich die Demokratie nur auf ehrenamtliche Mitarbeiter stützen müssen, wäre das Ergebnis nicht unbedingt bessere Arbeit - und damit bessere Politik. Damit möchten wir an dieser Stelle jedwede Rechtsbrüche weder relativieren noch schönreden. Nur ist das, was die entsprechenden Mitarbeiter in solchen Fällen illegalerweise tun, unter dem Strich trotzdem eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit, ohne die unsere Demokratie nicht funktionieren kann. Wir wollen dieses Fass für Deutschland an dieser Stelle zwar nicht weiter aufmachen, weisen aber darauf hin, dass diese wahrscheinlich viel zu gängige Praxis besser damit zu beheben wäre, sich Gedanken über eine sinnvollere Systematik der Parteienfinanzierung zu machen, als durch die gerichtliche Verurteilung der Betroffenen.
Jedenfalls in Deutschland. In Frankreich passiert so etwas offensichtlich ebenfalls, ein relevanter Unterschied besteht aber darin, dass Frau LePen bereits 2018 aus diesem Grund verurteilt worden ist. Und, so stellt es das aktuelle Urteil fest, die Veruntreuung seitdem systematisiert wurde und eher noch mehr geworden sei. Und das ist dann ein erheblicher Unterschied zu ähnlichen Fällen in Deutschland. Der andere erhebliche Unterschied ist die enorme Summe, um die es geht, eben jene viereinhalb Millionen Euro.
Summe und der Umstand, dass auch nach einem ersten Urteil, das man ja als Warnschuss hätte empfinden können, nicht etwa anders gehandelt wurde, sondern kackfrech so weitergemacht wurde, könnten uns zu der Annahme verleiten, dass es sich um vorsätzliche Veruntreuung handelt und dass eine erneute Verurteilung mindestens billigend in Kauf genommen wurde. Wir kennen das von anderen rechtsradikalen Bewegungen in Europa, in denen man die Opferrolle als zentrales strategisches Element zu nutzen weiß. Doch das ist reine Spekulation.
Was keine Spekulation ist, sind LePens politische Positionen, denn aus denen macht sie selten einen Hehl.
Sie ist beispielsweise für die Beendigung gemeinsamer Rüstungsprojekte mit Deutschland. Das beträfe Dinge wie das Projekt Future Air Combat System, das ab 2040 zu einem Ersatz der demnächst anzuschaffenden F35 führen soll - und hier geht es immerhin um die nukleare Teilhabe Deutschlands auf der einen Seite (denn dazu dienen die von den Amerikanern zu kaufenden F35) und einer größeren gemeinsamen Autonomie der EU andererseits. Die stünde damit aber zur Disposition, jedenfalls als EU.
Die aktuellen Gedankenspiele, dass Frankreich seinen Atomschirm anderen EU-Partnern (auch ausdrücklich Deutschland) zur Verfügung stellt, wären mit ihr aus diesen Gründen folglich ebenfalls ziemlich sicher nicht zu machen.
Sie ist insgesamt zwar vordergründig gegen einen Austritt aus der EU, würde diese allerdings in ihrem Sinne umgestalten wollen. Was nach allen Regeln der Kunst aber einen Austritt Frankreichs nach sich ziehen dürfte - oder eben eine Räumung dieser Position.
Sie ist offen für einen Austritt Frankreichs aus der NATO und sie ist gegen die Aufnahme der Ukraine in die EU.
Sie hält die russische Annexion der Krim für rechtmäßig, wünscht einen engeren Kontakt zwischen Russland und der NATO, hat mehrfach ihre Bewunderung für den russischen Diktator Putin erklärt.
Und ihre Partei hat nachweislich bis 2014 40 Millionen Euro aus Russland erhalten. Was, wenn man so will, eine ganze Reihe dieser Positionen gewissermaßen nachvollziehbarer macht.
Widmen wir also dieses Denkmal der Woche der Abwendung all dieser Katastrophen? Lieber nicht, denn das wäre wahrscheinlich etwas vorschnell.
Sicher: Dass dieses Urteil aller Voraussicht nach eine Kandidatur LePens und damit ihre Präsidentschaft verhindert, ist für Deutschland und Europa vordergründig eine sehr gute Nachricht.
Allerdings kann auch so ein Urteil nichts daran ändern, dass fast die Hälfte der Franzosen die Positionen von Frau LePen teilt. Der wahrscheinlich unberechtigte, aber doch vorhandene Eindruck, dass das Urteil auch aufgrund seiner politischen Komponente lautet, wie es eben lautet, spielt mindestens LePens Partei langfristig in die Karten. Auch deshalb drängt sich der Verdacht auf, dass dieses Urteil von LePen zwar sicher nicht vorsätzlich so und vor allem so hart provoziert, aber mindestens billigend in Kauf genommen wurde.
Mit Jordan Bardella steht zudem in ihrer Partei ein Nachfolger für künftige Präsidentschaftswahlkämpfe bereit, der von dem profitieren könnte, was sie in den letzten 15 Jahren aufgebaut hat. Seine politische Linie ist bis dato in Teilen eine etwas andere. Zum Beispiel nennt er Russland offen eine Bedrohung. Wie haltbar solche Positionen sind, wenn gegenteilige ihn zum Erfolg führen könnten, wird man sehen. Und auch sonst sollte man eher nicht damit rechnen, dass der RN sofort harmlos wird, bloß weil LePen womöglich ihre Karriere unfreiwillig etwas verfrüht hinter sich hat.
Die Meinung der 13 Millionen Franzosen, die LePen 2022 als Präsidentin sehen wollten, wird sich durch diese Nummer vermutlich nicht ändern.
Daher widmen wir dieses Denkmal der Woche vielleicht lieber der gewonnenen Erkenntnis, dass nämlich etwas offenbar so Unwichtiges wie die Demokratie allem Anschein nach so wie in Deutschland auch in Frankreich bisweilen nicht ohne illegale Tricksereien funktioniert. Als Demokraten darf man sich ja trotzdem gerne darüber freuen, dass uns das eine Präsidentin LePen erspart. Doch das dahinter stehende Problem ist nicht nur trotzdem noch da, sondern es betrifft eben nicht bloß Rechtsradikale und Populisten, sondern eigentlich alle.
Und wir ahnen zwar, dass auch dieses Urteil nicht die eigentlich nötige Debatte anstoßen wird. Trotzdem ist die offensichtlich mangelhafte Finanzierung demokratischer Institutionen, insbesondere Parteien, auf lange Sicht ein Problem für die Demokratie. Noch dazu in einer Welt, in der Aufmerksamkeit die entscheidende Währung geworden ist und in dieser Disziplin seriöse Politik in ihrer ganzen Langweiligkeit in direkter Konkurrenz zu Millionen von Memes und Quatschvideos steht, die allesamt einfacher zu verdauen und in jeder Hinsicht attraktiver sind, als zum Nachdenken anregende tiefgründige Analysen und Erklärungen. Je mehr sich die Welt weiter in diese Richtung entwickelt, desto aufwendiger und eben auch teurer wird es für Parteien, durch das Dickicht der seichten Schwachsinnigkeiten noch zum Wähler vorzudringen.
Was heute schwierig ist, wird also zunehmend unmöglich. Dass LePen also Millionen zweckentfremdete, um in dieser Gemengelage ihre Partei in die Lage zu versetzen, Wähler zu erreichen, ist zwar ungesetzlich, wird aber eine zunehmende Notwendigkeit für alle Parteien.
Wenn wir aufgehört haben, LePen und ihre verachtenswerte Partei verdientermaßen dafür auszulachen, dass sie ihr gerechtes Urteil erhalten hat, sollten wir uns daher der Frage zuwenden, wie wir die Demokratie der Zukunft so aufstellen, dass sie legal funktionieren kann.
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