Wochenmonument
Wochenmonument
WM024 Schöne neue Techwelt (16/2025)
0:00
-12:22

WM024 Schöne neue Techwelt (16/2025)

Schöne neue Techwelt

Ghiblify this, disneyfi that - das jüngste Update von ChatGPTs Bildbearbeitung hatte einen Trend losgetreten, der weite Teile des interessierten Internets erfasst hatte, in der abgelaufenen Woche aber auch schon fast wieder durch war.

Abgelöst wurde er vom Action-Figuren-Trend: Menschen verwandelten ein Bild von sich in eine fotorealistische Grafik einer originalverpackten Action-Figur - nebst der sie beschreibenden Gadgets wie einem Starbucks-Kaffeebecher und der Schachtel Kippen.

Auch dieser Trend ist inzwischen am Abklingen, nachdem er die Kapazitäten von ChatGPT noch mehr dezimierte, als der bereits große Comicstil-Trend davor. Er wird gerade abgelöst von Leuten, die Fotos ihrer Haustiere schießen und den Chat anweisen, zu zeigen, wie ihr Haustier aussähe, wenn es ein Mensch wäre. Und auch hier sind die Ergebnisse wieder unfassbar witzig, skurril, sehens- und zeigenswert.

Die Frequenz dieser KI-Trends ist selbst für Internetmaßstäbe hoch und eine Mischung aus bewusst von den Entwicklern erdachten und eingebauten Modi und einer gewitzten Nutzung daraus. Beides befruchtet sich permanent gegenseitig und alle paar Tage wabern Dinge durchs Netz, die uns erneut die Kinnlade runterfallen lassen.

Das Meiste davon ist relativ sinnloser Quatsch. Alle hier genannten Beispiele haben keinen praktischen Nutzen. Sondern sie sind, positiv formuliert, so etwas wie Gegenwartskunst, Massenkultur oder wenigstens einfach nur Netzphänomene.

Und natürlich melden sich auch immer öfter Bedenkenträger, die die Schattenseiten herausstellen. Eine bekanntere Tech-YouTuberin erlebte ich die Tage, wie sie sich über den immensen Energiebedarf echauffierte, den Schwachsinnstrends wie die Geschichte mit den Actionfiguren doch verursachen würden und ob man das denn wirklich bräuchte.

Die objektive Antwort darauf lautet natürlich nein, auf gar keinen Fall braucht das irgendwer, wirklich nicht!

Es ist kompletter Unsinn. Genau wie allerdings auch die zigste mittelmäßige Netflixserie Unsinn ist - und dennoch produziert wird. Die dafür aufgewendeten Ressourcen gehen übrigens ebenfalls immer in die Millionen.

Die Welt funktioniert eben so, dass unsere Aufmerksamkeit immer wieder getriggert werden muss, damit wir zu einem bestimmten Produkt greifen. Die KI-Chatbots sind für sich genommen aktuell ziemlich sicher der größte Metahype der Menschheit und eine Entwicklung, die man in ihrer historischen Tragweite immer noch nicht ansatzweise einschätzen kann, bei der wir aber trotzdem bereits sagen können, dass sie die Welt mindestens so sehr verändern werden, wie die Entwicklung des Internets oder des Buchdrucks - eventuell sogar so sehr wie das Rad oder gar des Feuers. Es wird also krass bis superkrass, soviel ist wirklich klar.

Weder das Internet noch der Buchdruck hatten ausschließlich positive Folgen. Die KI-Revolution wird viele negative Folgen mit sich bringen. Der hohe Energiebedarf, das ist tatsächlich so, ist garantiert einer davon. Wir möchten aber die Prognose wagen, dass das noch das harmloseste Problem sein wird, mit dem sich die Welt hinsichtlich KI konfrontiert sieht.

Bereits heute können wir eigentlich keinem digitalen Inhalt mehr vollständig über den Weg trauen. Bis vor kurzem wusste jeder, dass sich Bilder fälschen lassen. Das geht seit hundert Jahren, die Methoden wurden natürlich immer ausgefeilter. Mit Photoshop wurde das die letzten 35 Jahre in der digitalen Welt immer perfekter und schwerer durchschaubar. Schon vor KI waren wir hier an einem Punkt, wo eine gut gemachte Fälschung im Prinzip nicht mehr zu erkennen war. Wir hatten Zeit, zu lernen, Bildern nicht mehr einfach so über den Weg zu trauen. Wir haben das inzwischen alle vage im Hinterkopf, wenn wir ein Bild sehen, auch wenn trotzdem zu vieles bis heute zu schnell und zu blind geglaubt wird. Aber theoretisch wissen wir, dass jedes Bild frei erfunden sein kann.

Gleiches gilt zunehmend für Video und Audio, auch da ging schon lange verdammt viel. Wir stehen aktuell an der Schwelle, wo sich Bilder, Video und Audio binnen Sekunden beliebig erzeugen, manipulieren und fälschen lassen. Wer sich ein bisschen mit den entsprechenden Tools, die frei zugänglich sind, beschäftigt, kann das mit wenig Aufwand. Dieser Aufwand schrumpft in genauso hoher Frequenz, wie wir die lustigen Trends bei KI-Bildern erleben. Heute tun wir gut daran, bei drastischen digitalen Inhalten, die vermeintlich Ungeheuerliches zeigen, zu zweifeln. Aber in ein oder zwei Jahren könnte es auch so sein, dass wir im Prinzip per default gar keinen digitalen Inhalten mehr trauen können und die digitale Welt zu einem Raum voller rein künstlicher, frei erfundener Inhalte degeneriert.

Natürlich ist das erstmal eine negative Entwicklung. Aber vielleicht beendet sie auch diese fürchterliche Leichtgläubigkeit vieler Menschen, weil dann wirklich jedem klar werden muss, dass nur, weil etwas irgendwo im Internet steht, die Realität eine komplett andere nicht nur sein kann, sondern fast sicher ist?

Das bedingt natürlich, dass Menschen sich mit dieser neuen Technologie ernsthaft beschäftigen, statt sie nur aus Konsumentensicht zu betrachten.

An negativen Szenarien herrscht tatsächlich kein Mangel. Auch wenn sich auf die meisten als Lösung wiederum KI nennen lässt. Die E-Mail-Spammer beginnen KI für sich zu entdecken und werden unsere Spamfilter vor Herausforderungen stellen. Vermutlich nur so lange, bis auch diese die KI entsprechend zu nutzen gelernt haben - KI bekämpft dann eben KI. Mittels KI designte Horrorviren könnten die nächste Pandemie auslösen - KI wird aber auch für schnelle Entwicklungen von Impfstoffen dagegen sorgen.

Eine andere uns ständig in Aussicht gestellte Dystopie geht ungefähr so, dass die KI praktisch jeden Job machen können wird. Die einen früher und die anderen später. Vielleicht stimmt das. Schreiben und Bilder erstellen können Maschinen wenigstens formell bereits heute so gut, wie Leute vom Fach. Zunehmend auch inhaltlich. Und sie werden ständig besser. Wir sehen jetzt schon, dass es nicht mehr lange hin ist, und wir uns alle möglichen kleinen Softwareprogramme und Apps selberbasteln werden, die exakt an unsere individuellen Bedarfe angepasst sind.

Woran es hier und da noch fehlt, ist wahrscheinlich vor allem eine so sehr zugeschnittene und vereinfachte Bedienung, dass die Nutzung tatsächlich Teil unseres Alltags wird, statt der Nerdkram, der das aktuell ja dann doch noch weitgehend ist. Anstelle immer längerer Prompteingaben, die oft genug eine Wissenschaft für sich sind, muss eine entsprechende bessere automatische Interpretation geschehen oder es auf andere Weise benutzerfreundlicher werden.

Vielleicht ist das das derzeit einzige, was viele Menschen wirklich noch daran hindert, in der Welt der Chatbots einzutreten. Aber auch die User Experience wird durchgehend besser. Doof gesagt mit jedem Prompt, den irgendjemand eingibt.

Dass KI uns im Arbeitsleben komplett ersetzen können wird, glauben viele. Aber dieser Dystopie kann man auch eine Vision entgegen halten, die KI als ein weiteres Werkzeug betrachtet. Und dann sieht die Gleichung so aus: KI wird eben nicht die Menschen aus der Arbeitswelt verdrängen. Das würde auch wirtschaftlich nicht funktionieren, wenn wir es mal zuende denken - denn sonst müsste KI KI finanzieren, was dann vielleicht doch eine etwas zu wilde Vorstellung ist. Jedenfalls noch, jedenfalls auf dem Stand im April 2025.

Nein, KI, wird den Menschen nicht verdrängen. Aber sie wird Menschen verdrängen, die sie nicht nutzen.

Woraus folgt, dass genau jetzt der beste Zeitpunkt ist, an dem wir uns alle verdammt noch mal mit der bunten weiten Welt der KI-Tools auseinanderzusetzen haben, ob wir sie nun mögen oder nicht und auch, wenn sie uns überfordern.

Oder vielleicht auch gerade, wenn sie uns überfordern.

Wir widmen das Denkmal der Woche also dem grassierenden Technikpessimismus, der dringend überwunden werden muss, wenn er uns nicht kulturell wie wirtschaftlich irgendwann völlig ins Aus befördern soll.

Und es ist total verständlich, all den Chatbots und ihren jetzt schon erkennbaren Folgen gegenüber superskeptisch zu sein. Vielleicht sogar Angst davor zu haben, was da noch alles kommt und wohin es sich entwickeln kann, teils absolut sicher und absehbar entwickeln wird.

Aber KI ist diese Zahnpasta, die wir als Menschheit nicht mehr in die Tube zurückdrücken können. Sie ist jetzt auf der Welt und das beste, was wir damit anstellen können, ist (ironischerweise) sie immer weiter zu verbessern und zu perfektionen. Weil es sonst nämlich Andere tun. Und das können mächtige Diktaturen wie China sein und Menschenverächter wir Russland, die sie für ihre Zwecke jetzt schon missbrauchen und garantiert nichts Gutes im Schilde führen.

KI kann man, wie jedes Werkzeug der Menschheitsgeschichte, fürchterlich missbrauchen. Wenn wir nicht lernen, sinnvoll mit ihr umzugehen, sie für segensreiche Dinge zu nutzen - oder wenigstens zur Abwehr dessen, was die gefährlichen Mächte dieser Welt uns damit anzutun gedenken, dann wird sie uns garantiert in übelste Dystopien stürzen.

Wem der globale Blick an dieser Stelle eine Nummer zu groß ist, der kann es aber auch auf sein Leben herunterbrechen und sich klarmachen: Wenn er KI ignoriert, statt es spätestens ab sofort so konsequent er kann für sich zu nutzen und in sein Arbeitsleben zu integrieren, wo immer es geht, dann wird er in absehbarer Zeit seinen Job an jemanden verlieren, der die gleiche Arbeit in der Hälfte der Zeit schafft, weil er diese Tools nutzt.

Und da reden wir vielleicht heute noch von eher kreativen Tätigkeiten wie Text- oder Bilderstellung. Die ersten echten Roboter, die mittels KI irgendwann handwerkliche Arbeiten übernehmen, sind aber längst in Entwicklung und werden kommen.

Und plötzlich sieht der Quatsch mit den Actionfiguren oder wie sieht eigentlich meine Katze aus, wenn sie ein menschlicher Mitbewohner wäre, gar nicht mehr so albern aus. Denn diese vermeintlichen Albernheiten sind nichts weniger als die Einstiegsdroge für Millionen Menschen, sich endlich ihren ChatGPT-Account anzulegen und ein bisschen was auszuprobieren. Sie müssen dazu lernen, was ein Prompt ist, wie er inhaltlich aufgebaut sein kann oder muss, um bestimmte Ziele zu erreichen. Wie KI arbeitet, wie ein LLM menschliche Eingaben versteht und interpretiert. Wie Ausgaben aussehen können, was man damit weiterhin, eventuell unter Zuhilfename weiterer Sprachmodelle, noch alles anstellen kann. Die meisten Menschen werden sich mit einer Abbildung ihrer Actionfigur sicher begnügen aber tun wir doch nicht so, als ließe sich die mit zwei, drei weiteren Arbeitsschritten auch direkt 3D-Drucken für den Schreibtisch - oder um sie real verpackt in ein orginelles Ostergeschenk zu verwandeln.

Ja, Quatsch. Aber all diese Dinge sind trotzdem nur der spielerische erste Schritt zu einer Lernkurve, die die Allermeisten von uns früher oder später erleben müssen.

Und deshalb sollten wir dergleichen nicht aus bloßem Reflex verteufeln, sondern als das feiern, was es ja offenkundig auch sind: globale, popkulturelle Trends, die uns nicht ohne Grund so sehr erfassen und staunen lassen, sondern wirklich unglaubliche Ergebnisse liefern, an denen Milliarden Menschen sich erfreuen, während sie gleichzeitig Milliarden Menschen nebenbei wertvolle Crashkurse geben, wie sie sich der schönen neuen Techwelt bedienen können.

Die größten Technikexperten haben den Zeitpunkt, zu dem KI die Dinge kann, die sie heute kann, noch bis vor wenigen Jahren eher Jahrzehnte als Jahre in der Zukunft gesehen und sich darin drastisch getäuscht. Der Zeitpunkt, an dem wir alle wirklich drauf haben müssen, was mit KI geht, könnte also in deutlich näherer Zukunft liegen, als wir alle uns das momentan noch ausmalen möchten.


ℹ️ Das WOCHENMONUMENT ist Podcast und Newsletter zugleich.

Jede Woche widmen wir uns einem Thema mit aktuellem Bezug aus Politik und Gesellschaft - und allem dazwischen. In unserem WOCHENMONUMENT beleuchten wir es und ordnen es ein.

Und setzen der Woche damit ein Denkmal. Woche für Woche für Woche.

📰 Kostenlos und werbefrei abonnierbar unter wochenmonument.substack.com sowie überall, wo es Podcasts gibt (klicke hier).

Über Bewertungen überall dort, wo das geht, würden wir uns freuen.

Du willst Teil dieses Denkmals der Woche werden? Gib uns Dein Audio-Feedback und wir befassen uns damit in einer Feedbackfolge.

👉 Zu einer Übersicht der bisherigen Ausgaben geht es hier.

Diskussion über diese Episode